2. Mai 2016 | 09:00 | Kategorie:
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Können sich die Gemeinden den Tourismus noch leisten?

Eine aktuelle Frage, die von Lesern an den tp-blog herangetragen wurde, wird angesichts der steigenden Kosten für die Daseinsvorsorge immer brisanter:

Können sich die Gemeinden den Tourismus noch leisten?

2. Mai 2016, 9:13

Will man am großen Kuchen des Tourismus mitnaschen, braucht die Gemeinde / die Destination (mehrere Gemeinden) eine entsprechende Freizeitinfrastruktur. Im Winter ist sie noch aufwendiger als im Sommer. Die wenigen Gemeinden, die sanften Tourismus betreiben, seien ausgenommen. Genauso wenig spreche ich den Städtetourismus an.

Auch hier zeigt sich wieder die Konzentration auf die Großen: Gemeinde, Tourismusverband, Bergbahnen können sich den Aufwand gerade noch leisten, laufend investieren und auch bestens bewerben. Der anspruchsvolle Kunde will immer mehr Pistenkilometer, die modernsten und schönsten Seilbahnen mit entsprechenden Skihütten. Im Sommer genügt auch nicht mehr der bloße Erlebniswanderweg, sondern Schlechtwetterprogramme sind gefragt – von Erlebnisbädern bis alle möglichen Hallenfreizeit-Aktivitäten. Und dies können sich eigentlich nur mehr tourismusintensive Gemeinden mit entsprechenden Einnahmen finanzieren. Durch die Bildung von Destinationen kann die eine oder andere tourismusextensive, d.h. tourismusschwache Gemeinde, mitgenommen werden und mitprofitieren. In den Destinationen werden auch infrastrukturelle Schwerpunkte (eine große Therme für ein Tal etc.) gesetzt und damit Investitionen leichter mitgetragen.

Der Tourismus schafft neben Arbeitsplätzen auch Lebensqualität durch die Freizeitinfrastruktur. Auch die Hotels und Restaurants, die vielfältigen Veranstaltungsangebote und anderes mehr ist ein besonderer Zusatznutzen, der schon selbstverständlich geworden ist. Die Einheimischen allein könnten sich diese Infrastruktur nie und nimmer leisten. Der Tourismus schafft auch andere Mehrwerte. Grund- und Häuserpreise steigen (mit allen Vor- und Nachteilen auch für die Einheimischen) durch Freizeitinfrastruktur. Gemeinden bleiben attraktiv für Einheimische, die Landflucht hält sich in Grenzen.

Die Überschuldung nicht weniger Gemeinden kommt vielfach von großen Investitionen in Infrastruktur, die sich in Gegenüberstellung der Einnahmen nicht rechnen, also stark subventionsabhängig sind. Die touristische Destinationsbildung und -entwicklung (mehrere Gemeinden werden zusammenzuführt und als ein Produkt touristisch vermarktet) lebt eigentlich den Gemeinden vor, was wahrscheinlich für Kleinst- und Kleingemeinden Zukunft haben wird.

Es ist allerdings anzunehmen, vielleicht auch zu befürchten, wie in vielen anderen Lebens- und Arbeitsbereichen, dass es zum Verlust der Mitte kommt, eben zur einer Konzentration der Großen mit einem state-of-the-art Angebot und die kleinen, weniger finanzstarken Gemeinden, die verlieren werden.

2. Mai 2016, 16:44

Tourismus braucht auch einen attraktiven Lebensraum in dem sich Einheimische und Gäste wohlfühlen. Der Lebensraum der Einheimischen wird zum Erlebnisraum für die Gäste. Somit besteht hier ein Doppelnutzen. Lebensraum-Management wird in Zukunft verstärkt Thema der Gemeinden sein, um gerade im ländlichen Raum den Abwanderungs-Tendenzen entgegenzuwirken. Was die Gemeinde aber dazu braucht ist ein Masterplan, der Klarheit zu den zukünftigen Projekten und (Freizeit- und Tourismus-)Infrastrukturen der Gemeinde gibt. Für einige Gemeinden wird der Tourismus nicht die Lösung sein – für andere wiederum ist der Tourismus die Existenz-Grundlage für den Wohlstand vor Ort. Nicht in jeder Gemeinde braucht es alles für jeden (vom kommunalen Schwimmbad über das Veranstaltungszentrum bis zum kleinen Skigebiet) – regionales Denken ist gefragt. Über Standortentwicklung im Zusammenspiel mit der Region muss sich jede Gemeinde den Kopf zerbrechen. In Zeiten knapper werdender Budgets muss sich die Gemeinde kritisch fragen: Was lassen wir in Zukunft weg? Wo kooperieren wir? Was bauen wir aus/innovieren wir?

2. Mai 2016, 21:39

Bei der Beantwortung dieser Frage stehen jene Gemeinden im Blickfeld, die sich für den Tourismus eignen bzw. für die sich aufgrund ihrer peripheren Lage der Tourismus als eines der wenigen wirtschaftlichen Standbeine anbietet. Verbunden damit ist die Frage, ob die Finanzkraft der Gemeinden ausreicht, um im erforderlichen Umfang Investitionen in die touristische Infrastruktur zu tätigen und diese auch zu erhalten und zu erneuern. Denn angesichts immer knapper werdender Gemeindefinanzen stoßen die Kommunen bei Investitionen in die freizeittouristische Infrastruktur zunehmend an ihre Grenzen.

Die Wirkungen guter touristischer Infrastrukturen sind jedoch unbestritten: Sie reichen von der Stimulierung der touristischen Nachfrage über Multiplikator- und Wertschöpfungseffekte bis zur Erhöhung der Lebensqualität für die einheimische Bevölkerung und die saisonal anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ein möglicher Weg, der bereits gegangen wird, aber noch stark ausbaufähig ist, ist die gemeindeübergreifende Zusammenarbeit, wie dies bei allgemeinen öffentlichen Infrastrukturen und Versorgungseinrichtungen schon lange gang und gäbe ist. Bei Investitionen in die freizeittouristische Infrastruktur mag sich das aus Gründen des Wettbewerbs zwischen den Gemeinden zwar etwas schwieriger gestalten, die meisten Kommunen werden aber um Kooperationen nicht herum kommen, wollen sie nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen.

Die in Österreich bestehenden touristischen Destinationen bieten dafür eine gute Voraussetzung, ist in der Regel doch klar, wohin sich eine Destination entwickeln soll und welche Infrastrukturinvestitionen dazu angesagt sind. Masterpläne zur Entwicklung und zum Ausbau der touristischen Infrastruktur, in denen wichtige Rahmenbedingungen wie bereits bestehende oder mögliche Angebote, geeignete Standorte (Gelände, Klima, Umfeld etc.), aber auch die Finanzkraft der Destination und ihrer Teilregionen Beachtung finden, sind hilfreiche Instrumente, geht es doch darum, dass nicht jeder alles macht, sondern alle etwas Gemeinsames, Besonderes an den jeweils bestgeeigneten Standorten schaffen. Die Erfahrungen zeigen allerdings, dass Masterpläne alleine nicht genügen. Zusätzlich ist viel Überzeugungsarbeit notwendig und so manche kommunalpolitische Hürde zu überwinden.

Die klare Positionierung und damit die klare Definition von Art und Bandbreite der erforderlichen touristischen Infrastrukturen, verbunden mit der realistischen Einschätzung der Gästewünsche sind unabdingbare Voraussetzungen, um die finanziellen Mittel effizient einzusetzen. Damit fällt auch der Druck weg, sich in die Maximierungsspiele des immer größer, immer höher, immer schneller, immer weiter etc. zu begeben, um dann am Ende als Opfer der Wachstumsspirale dazustehen.

Haben die Gemeinden in der Vergangenheit bei der Entwicklung touristischer Infrastrukturen im Zusammenwirken mit den Tourismusverbänden oft die Rolle des Impulsgebers übernommen und in weiterer Folge viel zur Stützung defizitärer freizeittouristischer Einrichtungen beigetragen, so sind ihnen heute in zunehmendem Maße die Hände gebunden.

Angesichts dieser Entwicklung hat sich z.B. in Tirol nach der großen Welle der Fusionen von Tourismusverbänden, die gerne als Gelegenheit genutzt wurden, freizeittouristische Einrichtungen an die Gemeinden zu delegieren, nun wieder eine starke Verantwortungsübernahme durch die Tourismusverbände herauskristallisiert. Immer mehr Verbände sind dazu übergegangen oder gehen dazu über, zweckgebundene Erhöhungen der Aufenthaltsabgaben und / oder der Tourismusbeiträge vorzunehmen, um diese gezielt für Infrastrukturmaßnahmen einzusetzen. Die gewonnenen Mittel werden in der Regel in Abstimmung mit den Gemeinden und oft auch in Verknüpfung mit den Gemeindebudgets eingesetzt. Das mag dank des Tiroler Tourismusgesetzes und der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus hierzulande vergleichsweise leicht sein. Dort, wo dies nicht der Fall ist, und die oben genannten Abgaben von den Gemeinden eingehoben werden, ist darauf zu achten, dass keine ungerechtfertigten Umlenkungen in nichttouristische Aufgaben bzw. Investitionen erfolgen.

Abschließend noch eine Erfahrung, die ich vor kurzem anlässlich eines Aufenthalts in einem Wiener Hotel machen konnte, das in Beiträgen und Kommentaren im TP-Blog schon mehrfach genannt wurde: Meiner Meinung nach wird dort der Mut erkennbar, in realistischer Einschätzung der Standortgegebenheiten sowie der Bedürfnisse der Gäste eine klare Linie zu fahren und sich erst gar nicht auf die Maximierungsspirale einzulassen. Vielmehr wird genau das geboten, was der Gast zu einem gelungenen Aufenthalt benötigt, nicht mehr und nicht weniger. Und das zu einem aus der Sicht des Gastes erfreulichen Preis-Leistungs-Verhältnis.

Diese Strategie lässt sich auf Gemeinden, Regionen und Destinationen umlegen. Wenn die Abkoppelung von der Alles-und-Jedes-Mentalität sowie die Abkehr von der Maximierungsspirale gelingt und die übergemeindliche Zusammenarbeit funktioniert, werden sich viele Gemeinden auch in Zukunft den Tourismus leisten können und damit gut fahren.

3. Mai 2016, 6:14

gerade der tourismus ist in ganzjahresdestinationen ein wichtiger bestandteil für die lebensqualität der einheimischen bevölkerung und ein wirtschaftsmotor des örtlichen handels. sprich: investitionen in ein wohl überlegtes freizeitangebot kommen mit zinsen über die umwegrentabilität wieder zurück !

3. Mai 2016, 6:23

Die höher!-weiter!-besser!-lauter!-bunter! Gemeinden ziehen entsprechend fordernde höher!-weiter!-besser!-lauter!-bunter! Gäste an. Diesem Wettlauf und Wettkampf untereinander bis zur nahtlosen Gesamt-Inszenierung von Berg zu Berg und Tal zu Tal (Szenario A) werden wir zusehen dürfen.

Die smarten Gemeinden, die mit vorhandene (Natur) Ressourcen maximale Gäste-Wirkung erreichen (müssen) sitzen langfristig vielleicht am längeren weil entspannteren Hebel:

LTO´s, TVB´s und Lokationen im Grünen: macht mehr aus Eurer Natur! Fair, integrierend, nachhaltig denkend. Der mögliche Gewinn sind Menschen, die über verschiedenste Natur Erlebnis Produkte zu sich kommen und weniger im außen fordern. Dazu müssen Manager mit Laptops nicht 24 Stunden in den Bäumen sitzen und Individualgäste nicht mindestens x Mal am Tag meditierend Bäume umarmen (SzenarioB) sondern es gibt eine gesunde Mitte dazwischen mit unendlich vielen maßgeschneiderten Natur-Erlebnis-Spannungsbögen – ohne Infrastrukturen, ohne Extra Hardware.

Fragt die Expert_Innen, fragt die Erlebnisplaner_Innen von morgen,
die Natur Feedback im Tourismus „Naturdenkerin“

4. Mai 2016, 7:08

Ergänzend zu den Vor-Kommentatoren/-innen:

Ob sich Gemeinden den Tourismus „noch leisten können“, ist auch eine strategische Festlegung des jeweiligen Bundeslandes. Beispielsweise ist bei kommunalen Investitionsvorhaben die Landesregierung als Aufsichtsbehörde zuständig — und zudem häufig als Fördergeber oder bei größeren Projekten als (Ko-)Investor tätig. Der Landtag als „Tourismus-Gesetzgeber“ legt wiederum die Rahmenbedingungen für die Finanzierung (von Tourismusverbänden und/oder Destinationen) fest. Also gibt es auf der Ebene des Landes durchaus Möglichkeiten zu steuern: Beispielsweise die regionale/interkommunale Zusammenarbeit zu forcieren, im Rahmen des Beihilferechtes zu investieren oder auch Prozesse der „Desinvestition“ (den Abbau von Infrastruktur und der Neuorientierung) zu unterstützen.

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