17. Januar 2016 | 16:39 | Kategorie:
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Sieben Thesen zur Zukunft des Wintertourismus

Wenn mein Blick über den Schreibtisch hinweg auf das dichte Schneetreiben und die Schneehauben auf den Bäumen fällt, könnte sich spontan die Frage auftun, ob die folgenden Zeilen denn überhaupt angebracht sind. Ich denke sie sind es: Das zeigt der Verlauf der Skisaison während der letzten Wochen, das bestätigen die Beiträge im TP Blog und anderswo und das legen die Aussagen von Touristikern nahe, auch wenn sie vielfach mit der Hoffnung verbunden sind, die Wintersaison doch noch positiv abschließen zu können.

Die allenthalben laufenden Diskussionen zur Zukunft des Wintertourismus haben mich veranlasst, meine Sicht der Dinge in sieben Thesen zusammenzufassen. Diese beruhen auf eigenen Erfahrungen, Gesprächen mit Kollegen und dem Studium von Fachliteratur. Sie sind im Folgenden jeweils mit kurzen Erläuterungen wiedergegeben.

These 1: Die Auseinandersetzung mit den Folgen des Klimawandels für den Wintertourismus ist ein Gebot der Stunde.
Aufgrund des Klimawandels und seiner Auswirkungen steht der schneegebundene Wintertourismus vor zunehmenden Herausforderungen. Die Antworten der Skigebietsbetreiber auf den Klimawandel zielen in erster Linie auf die technische Beschneiung und – wo möglich – die Erschließung höher gelegener Skipisten ab. Der Klimawandel ist jedoch nur einer der Faktoren, welche die Zukunft des alpinen Skisports beeinflussen. Zu den weiteren Einflussfaktoren zählen die demografische Entwicklung, der Wertewandel in der Gesellschaft oder das immer größere Spektrum an Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, speziell für Kinder und Jugendliche.

These 2: Das Thema Klimawandel und Wintertourismus erfordert eine differenzierte Betrachtung nach Höhenstufen.
Die einzelnen Höhenlagen sind vom Klimawandel in unterschiedlicher Weise betroffen, die Problemzonen werden sich mit zunehmend wärmeren Wintern weiter nach oben verschieben. In höheren Lagen und mit technischer Beschneiung ist Pistenskilauf noch auf Jahrzehnte hinaus möglich, wobei allerdings der Aufwand für die Beschneiung erheblich größer werden wird. Die Ressourcen Wasser und Energie sowie die finanziellen Aufwendungen werden in Zukunft trotz der Weiterentwicklung der Beschneiungstechnik die kritischen Größen bilden.

These 3: Der Skilauf und andere schneegebundene Aktivitäten werden weiterhin das Bild des alpinen Wintertourismus prägen.
Der Pistenskilauf ist keinesfalls ein Auslaufmodell. Es ist aber davon auszugehen, dass eine zunehmende Konzentration auf die höher gelegenen Gunstlagen erfolgen wird. Auch wenn sich bereits viele darüber den Kopf zerbrochen haben: Es ist derzeit nichts in Sicht, was den schneegebundenen Wintersport – und dabei primär den alpinen Skilauf – als Massenphänomen ersetzen könnte. Für die weitere Nachfrage nach Skigebieten sprechen neben der (technisch unterstützten) Schneesicherheit in höheren Lagen u.a. die Bemühungen der Wintersportverbände (auch in den Herkunftsländern unserer Gäste) sowie der Sportartikelindustrie zur Zukunftssicherung des Skisports.

These 4: Antworten auf den Klimawandel beinhalten Maßnahmen in der Produkt- und Angebotsentwicklung.
Trotz intakter Perspektiven für schneegebundene Aktivitäten ist es unerlässlich, über Alternativen nachzudenken, insbesondere für kritische Lagen sowie zur Absicherung warmer und schneearmer Phasen in der Wintersaison (z.B. Weihnachten / Neujahr). Dabei gilt es primär bei vorhandenen Potenzialen und Kompetenzen anzuknüpfen und auf Bestehendes zurückzugreifen, im Wesentlichen also auf die Ganzjahres- und Sommerangebote. Zu den Produktfamilien, die sich dafür anbieten, zählen Bewegung und Sport, Natur und Landschaft, Gesundheit sowie Wellness und Beauty, Kulinarik, Kultur, Events, Tagungen und Bildung. Damit können Regionen mit fehlender Schneesicherheit im Winter auch Gäste ansprechen, die nicht schneeaffin sind.

These 5: Mit der Stärkung schneeunabhängiger Angebote werden die Übergänge zwischen der Winter- und Sommersaison fließender.
Der Tourismus in alpinen Regionen hat Zukunft. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass als Folge des Klimawandels sowie anderer Einflussfaktoren örtlich und regional inhaltliche Schwerpunktverlagerungen stattfinden. Da vom Klimawandel auch Auswirkungen auf den Sommer zu erwarten sind (mehr Sonne, weniger Niederschläge, früherer Beginn, längeres Andauern in den Herbst hinein) und die Übergänge zwischen der Winter- und Sommersaison auch vom Angebot her fließender gestaltet werden, werden mittlere und tiefere Lagen in Zukunft auf den Vier-Jahres-Zeiten- bzw. Ganzjahrestourismus setzen können. In höheren Lagen wird der Tourismus nach wie vor einen zweisaisonalen Rhythmus aufweisen.

These 6: Alpine Regionen müssen neben dem Tourismus auch andere wirtschaftliche Standbeine forcieren.
In einem Winter ohne Schnee und ohne Skilauf wird trotz alternativer Angebote das Ausmaß der touristischen Nachfrage insgesamt geringer sein. Um die Siedlungs-, Infrastruktur- und Bevölkerungsdichte in alpinen Regionen zu halten, müssen in anderen Branchen Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. Vielfältigere berufliche Wahlmöglichkeiten wirken dem Pendeln und der Abwanderung entgegen. Größere Branchenvielfalt kann u.a. durch die Orientierung an regionalen Kompetenzen und Produkten und durch die Vernetzung der regionalen Wirtschaft erreicht werden. Für Standorte abseits des Schnees ohne spezifisches Potenzial für touristische Alternativen bildet schlussendlich der Ausstieg aus dem Tourismus ein ernstzunehmendes Szenario.

These 7: Kommunikationsstrategien und Inhalte der Kommunikation sind an die sich ändernden Gegebenheiten anzupassen.
Angesichts des Klimawandels ist es unausweichlich, aktuelle und potenzielle Gäste mit den sich ändernden Gegebenheiten vertraut zu machen und die notwendigen Gewöhnungseffekte zu initiieren. Denn es entspricht nur bedingt der Produktwahrheit, wenn niedrige und mittlere Lagen ausschließlich als (tief) verschneite Orte und Landschaften präsentiert werden. Auch nicht verschneite Berglandschaften können positiv dargestellt und die damit verbundenen Kundennutzen hervorgehoben werden. Ein Stichwort dazu ist wohl die Sonne, spüren doch viele Menschen das Bedürfnis, im Winter den nebelverhangenen Tiefebenen zu entfliehen. Die Kommunikation muss jedoch die Sicherheit geben, dass bei Schneemangel alternative Angebote in bester Qualität bereitstehen.

Soviel in aller Kürze zu den Thesen. Nun ist es wohl an der Zeit, anhand von Good- und Best-Practice-Beispielen aufzuzeigen, wie sich Betriebe und Destinationen auf eine Zukunft mit fehlender Schneesicherheit oder gar ohne Schnee vorbereiten bzw. diese bereits vorwegnehmen.

18. Januar 2016, 8:13

Tipp: Das Magazin „Wissenschaft des Winters“ der ÖW Tourismusforschung beleuchtet neue Potenziale für den österreichischen Wintertourismus. Das Magazin spannt einen Bogen über bisherige Entwicklungen des Wintertourismus, Analyse von Wintergastsegmenten, Potenzialen nach Märkten bis hin zu tiefenpsychologischen Ergebnissen einer neuen Zielgruppe für den Wintertourismus in Österreich. Wir senden Ihnen kostenloses Exemplar gerne zu!

18. Januar 2016, 9:59

Herzlichen Dank, Peter Haimayer, für diese umfassenden und anregenden Thesen. Der alpine Winter ist im heimischen Tourismus sehr stark emotional verankert. Das erschwert eine konstruktiv-nüchterne Diskussion, lässt aber hoffen, dass besonders viele Protagonisten zu motivieren sind, an alternativen Strategien zu arbeiten. Ich stimme Peter Haimayer voll und ganz zu, was seine These 3 betrifft. Mit Blick auf den Klimawandel und seine Thesen 1 und 2 darf ich ergänzen, dass mit dem Ansteigen der Permafrostgrenze nicht nur ökologische Veränderungen verbunden sind, sondern auch zusätzliche infrastrukturelle Sicherungsmaßnahmen notwendig werden, die zu finanzieren sind. Nicht zuletzt um diese volkswirtschaftlichen Kosten rechtfertigen (und decken) zu können, müssen wir uns mit These 6 auseinandersetzen und auch nach wirtschaftlichen Alternativen suchen, die Arbeitsplätze und Einkommen in den betroffenen Regionen sichern. Übrigens: Ich persönlich verwende den Begriff Alternative nicht im Sinne eine entweder-oder sondern im Sinne von weiteren Möglichkeiten des Wählens.

18. Januar 2016, 10:21

Eine sehr klare, prägnant zusammengefasste und dadurch praxisnahe Analyse.
Hoffentlich erreicht sie auch viele Theoretiker und Praktiker!

4. Februar 2016, 16:19

Ein Dankeschön an die Österreich Werbung für den Hinweis auf die Broschüre „Wissenschaft des Winters“. Diese enthält eine Gegenüberstellung von Wintersporturlaubern und Genussurlaubern bzw. von Sport am Berg und Genuss in der (verschneiten) Ebene. Die Erkenntnisse sind für diejenigen, die ihren Finger regelmäßig am Puls des touristischen Geschehens haben, zwar nicht neu, dennoch ist es hilfreich, dass die Unterschiede zwischen den beiden Gästezielgruppen hier auf der Basis wissenschaftlich-psychologisch-morphologischer Untersuchungen systematisch dargestellt sind. Allerdings ist ungeachtet der wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit der Ausgangsuntersuchungen bei der Interpretation der Ergebnisse die emotionale und werbetechnische Feder mit der Schreiberin bzw. dem Schreiber durchgegangen.

Trotz allem eine wertvolle Darstellung, die aus meiner Sicht jedoch ein entscheidendes Manko aufweist: Es wird nirgends eine Silbe darüber verloren, was denn zu tun ist, wenn es in der Ebene, wo der Wintergenuss im Schnee stattfindet, keinen Schnee mehr gibt. Da aber eine solche Entwicklung unweigerlich auf uns zukommt, wird sich die Österreich Werbung wohl früher oder später wieder an die Arbeit machen und die lieben Deutschen erneut auf die Couch legen müssen.

Um gleich bei unseren lieben Deutschen zu bleiben, hier noch ein Detail am Rande: Bei der Suche nach idyllischen, verschneiten Ortsbildern samt Winterpanorama ist die Österreich Werbung fündig geworden. Zwar nicht im heimatlichen Österreich, dafür aber bei unseren Mitbewerbern im benachbarten Bayern, wo es offenbar auch recht romantisch zugeht. Das scheinen jedenfalls die beiden Bilder von Ramsau im Berchtesgadener Land auf den Seiten 44 und 49 der Broschüre „Wissenschaft des Winters“ zu belegen.

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