30. September 2022 | 19:00 | Kategorie:
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Zukunft des alpinen Wintersports: Szenarien und Strategien für 2030

„Ski.Board.Winter 2030“ – unter diesem Titel war Ihr Autor vor kurzem aufgerufen, sich für das BERG.BAHN.CAMP 2022 „Szenarien zur Zukunft des alpinen Wintersports“ zu überlegen: angesichts von höchst ungewöhnlichen Zeiten und damit einhergehender Unsicherheit, was sogar die nahe Zukunft anbelangt, eine spannende Aufgabe. Denn die Szenariotechnik erlaubt in Extremen zu denken, sich so möglichen Zukunften anzunähern. Folgende drei Szenarien drängen sich mit Zeithorizont von acht Jahren für den österreichischen Markt auf:

1. »more of the same«

In diesem Szenario herrschen wieder präpandemische Verhältnisse:

  • Überkapazitäten werden großzügig gehalten, trotzdem auftretende, gelegentliche Überlastungen – z.B. in der mittäglichen Rushhour – einfach toleriert. Besucherstromlenkung durch Kontingentierung spielt de facto keine Rolle, es herrscht das Prinzip: „first come, first served“.
  • Der Trend, dass große Skigebiete eher wirtschaftlich reüssieren als Kleine und Mittlere, setzt sich fort. Es gibt zwar zahlenmäßig immer weniger, dafür aber leistungsfähigere Aufstiegshilfen: Grob gesagt werden Schlepplifte ersetzt, kuppelbare Bahnen sind Standard.
  • Die Beschneiungstechnik wird (auch ob niedriger Energiepreise) auf die Spitze getrieben. Die Pistenbedingungen sind nahezu immer perfekt, dank „Sicherheitspolstern“ apere Stellen die absolute Ausnahme.
  • Das Hauptrisiko für den Schneesport liegt in der demografischen Entwicklung. Die Menschen müssten den Sport auch bis in ein höheres Alter ausüben, um aktuell dünnere Jahrgänge zu kompensieren. Die sogenannte „Elitisierung“ schreitet schleichend voran.
  • Klimawandelanpassung heißt technische Maßnahmen ergreifen, die vielfach für Gäste unsichtbar im Hintergrund ablaufen. Ganzjähriger Betrieb ist aus strategischen Gründen für das Wintergeschäft relevant, nämlich um attraktiver Arbeitgeber zu sein oder zeitgemäße Beherbergungsbetriebe am Standort zu erhalten.

Die Auswirkung dieses Szenarios auf das gängige Geschäftsmodell wäre sehr gering, die Eintrittswahrscheinlichkeit ist jedoch aus heutiger Sicht auch nicht besonders hoch.

2. »business unusual«

Dieses Szenario spielt darauf an, dass es für Skigebiete seit März 2020 kein „business as usual“ gibt. Und zumindest für die kommende Wintersaison wird das auch so bleiben, kommen doch zur Pandemie durch Preissteigerung und mögliche Energieknappheit weitere belastende Faktoren. Diese Entwicklungen bedeuten vorausgedacht:

  • Besucherstromlenkung – z.B. unterstützt durch dynamische Preisgestaltung – ist Standard. Vorhandene Daten in Marketing und Vertrieb zu nutzen, ermöglicht automatisierte Kundenbindungsmaßnahmen auf Personenebene. Die Produkt- und Preispolitik der Skigebiete umfasst selbstverständlich auch Aktivitäten wie das Pistengehen oder Rodeln.
  • Weniger rentable Skigebiete kommen wirtschaftlich unter Druck, was – wie es die Wissenschaft formuliert – „in weiterer Folge zu einer stärkeren Konzentration und Marktbereinigung sowie einer künftig geringeren Anzahl an Skigebieten führen könnte“.
  • Vor allem aber verringert sich sukzessive die beschneite Pistenfläche sowohl auf das einzelne Skigebiet bezogen als auch kumuliert betrachtet; die verbleibende Fläche wird dafür durch diverse „Inszenierungen“ wesentlich intensiver genutzt.
  • Die Hauptrisiken aus Sicht der Skigebiete sind die Leistbarkeit des Schneesports für Gäste und die Verfügbarkeit von Personal.
  • Klimawandelanpassung wird inhaltlich breiter gesehen, die Mobilität (An- und Abreise, vor Ort) rückt in den Mittelpunkt des Interesses. Ein professioneller ganzjähriger Betrieb wird vielerorts Geschäftsgrundlage, wobei der Winter immer noch größter Umsatzbringer ist.

Die Auswirkung dieses Szenarios auf das gängige Geschäftsmodell wäre naturgemäß größer als bei »more of the same«, die Eintrittswahrscheinlichkeit ist aus heutiger Sicht relativ hoch.

3. »back to the roots«

Dieses Szenario denkt verschiedene Entwicklungstendenzen radikal. In mancherlei Hinsicht würde in der geschichtlichen Betrachtung das Pendel wieder zurück zu den Anfängen des Bergtourismus schwingen, beispielsweise was dessen „Beschleunigung“ durch technische Entwicklungen bei Aufstiegshilfen & Co. anbelangt:

  • Gäste entscheiden sich verstärkt für längere Aufenthalte („Winterfrische“) und/oder (Tages-)Ausflüge. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Skiausflüge in die unmittelbare Umgebung der großen Städte gang und gebe. Es kommt zu einer Renaissance der Eisenbahn und – von St. Anton am Arlberg bis Semmering – der Tourismusorte an Bahnstrecken. Die Besucherstromlenkung setzt über ÖPNV-Kapazitäten und Ridesharing bereits bei der Anreise an.
  • Wenn Energiepreise auch über das heutige Niveau hinaus „explodieren“, wird technisch produzierter Schnee endgültig zum knappen Gut bzw. zum absolut bestimmenden Treiber. (Teil-)rückbauten von Aufstiegshilfen bzw. Infrastruktur und viel weniger Pistenfläche wären genauso logische Konsequenzen wie die optimierte Nutzung beschneiter Pisten – über Tagesverlauf und Saison betrachtet bzw. auch von verschiedenen Nutzergruppen her.
  • Das Hauptrisiko könnte der Skinachwuchs bzw. eine radikale Elitisierung sein. Wobei die Ausrüstung – wie es Dynafit-CEO Benedikt Böhm formuliert – der positive Gamechanger sein könnte: „Extrem leichtes und alpin genormtes Material wird in den nächsten Jahren kommen. Die Kunden kaufen die Features zum Tourengehen einfach mit, und ihnen stehen dann beide Welten [Anm.: also des Aufstiegs aus eigener Kraft und der alpinen Abfahrt ohne Kompromisse] offen.“ Prototypen von elektrifizierten Aufstiegshilfen an Tourenski sind bereits in Erprobung, würden – allerdings ausreichend Schnee vorausgesetzt – analog zum E-Bike ganz neue Nutzungen (und Aktionsradien) ermöglichen.
  • Klimawandelanpassung wird auch im Sinne von „hybriden“ Betriebsformen (mit / ohne Schnee) oder Alternativen wie Trockenpisten für bestimmte Anwendungen (z.B. im stadtnahen Bereich) als ganzjährig nutzbare Alternativen auch in unseren Breiten relevant.

Die Auswirkungen dieses Szenarios auf das gängige Geschäftsmodell kann getrost als disruptiv bezeichnet werden, die Eintrittswahrscheinlichkeit bis 2030 als nicht besonders hoch.

 

Drei strategische Projekte für 2030

An die analytische Fingerübung der drei Szenarien schließt sich die Frage an, was denn angesichts dessen seitens der Branche – gleichsam in Vorbereitung auf noch mehr »business unusual« – getan werden kann. Was wären taugliche Projekte, die gemeinschaftlich angegangen werden könnten? Hier drei kurze Vorschläge:

1. Transparenter Marktplatz

In der besonderen Situation des Pandemiewinters 2020/2021 haben die Skigebiete in Niederösterreich und der angrenzenden Steiermark einen gemeinsamen, transparenten Marktplatz entwickelt. Dadurch konnten sich potenzielle Gäste bereits im Vorfeld ihres Besuchs über freie Plätze bzw. Preise informieren und in der Folge online buchen. Ein Buchungsportal für die Leistungen der Seilbahnbetriebe aus der Branche wäre ein Meilenstein für die optimierte Nutzung der Kapazitäten und Ressourcen, bei smarter Architektur auch kein Nachteil für die Wirtschaftlichkeit – ganz im Gegenteil.

2. Stadtnahe Schneeparks

Schneeparks direkt in den Großstädten bzw. in deren unmittelbarer Nähe wären ein hervorragendes Mittel der Nachwuchspflege. Ein interessantes Vorbild für einen ganzjährig betriebenen Action Sports Park ist Woodward Park City der Powdr Corporation. Die Erlebnisarena St. Corona am Wechsel geht strategisch in eine ähnliche Richtung, jedoch ohne Indoor-Sportstätten. Interessant sind Bemühungen von Skihallen „klimaneutral“ zu werden oder das berühmte Beispiel einer Müllverbrennung in Kopenhagen, auf deren Dach skigefahren werden kann: CopenHill – Copenhagen’s epicenter for urban mountain sport

3. Schulterschluss zur Mobilität

Die bekannte Studie des Umweltbundesamtes zur Treibhausgasbilanz unterschiedlicher Urlaubstypen im Vergleich spricht eine eindeutige Sprache: Überwiegend kommt es auf die Art der An- und Abreise an. Warum daher nicht eine österreichweite Saisonkarte als Upgrade zum Klimaticket lancieren? Warum nicht gebührenpflichtiges Parken – als weiteren Anreiz für Ridesharing – als Standard etablieren? Warum nicht branchenweit einheitliche Regeln für das Emissionsmanagement (inklusive An- und Abreise) und dessen Kommunikation definieren?

1. Oktober 2022, 16:16

Ad gesamt: Die Verteilung der Anteile derer, die eine Bergbahn befördert (Skifahrende, Weitere Winterfreizeitaktivitäten, Frühjahr-Sommer-Herbstaktivitäten) lässt viel Spielraum. Die Schneesache sollte damit zumindest mittelfristig noch deutlich besser kompensierbar sein.

Ad Klimawandel:
Leistungsfähige ÖPNV Anschlüsse mit optimaler last-mile Anbindung – also bis Talstation – könnten viel beitragen!
-> Solange die Anreise per ÖV zweimal, dreimal oder noch mehr länger als per PKW dauert, bekommen wir die Autokolonne nicht von der Straße runter.
-> Ridesharing per Parkgebühr forcieren finde ich einen überlegenswerten Ansatz. Allerdings muss das gut geplant sein – in die Ortsentwicklung, Verkehrsplanung integriert, damit die Leute nicht dann in den Dörfern in den „weissen Zonen“ parken …

2. Oktober 2022, 10:57

Darf er denn das, der Redl?

Auch wenn es manchmal nicht den Anschein hat oder nicht so ist: Österreichs „geerdete“ Seilbahner beschäftigen sich mehr mit der Zukunft, als so mancher glaubt. Dazu braucht es auch „out oft he box“-Denker, die über den Tellerrand hinausschauen, nachdenken und die Gedanken auch weitergeben. Selbst oder gerade weil diese Querdenker einem manchmal nicht recht sind, braucht man sie. Weil sie auch sagen, was unbequem ist, weil deren Überlegungen oftmals nicht ins aktuelle Konzept passen.

Querdenken und Querhandeln. Darf er denn das? Er tut es einfach, der Redl!

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