12. Dezember 2016 | 22:50 | Kategorie:
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Gäste oder Einheimische – eine Zweiklassengesellschaft?

Dieser Tage haben ein Brief des Präsidenten der Tiroler Arbeiterkammer an die Abgeordneten zum Tiroler Landtag sowie die damit verbundenen Artikel in der Tiroler Tageszeitung Heftiger Streit über Tiroler zweiter Klasse sowie Tiroler zweiter Klasse? Verbände retten Skigebiete! hohe Wellen geschlagen. Die Kommentare in der online-Ausgabe der TT zeigen, dass die Einheimischen, die Kommentare verfassen, sehr unterschiedlich reagieren – in einem Spektrum zwischen totaler Ablehnung und voller Zustimmung.

Die Analyse der Stellungnahmen lässt zwei Schlussfolgerungen zu, die für das Verständnis der Situation und in Bezug auf Kommunikationsmaßnahmen bedeutsam sind: Zum einen werden jene Aspekte herausgegriffen, von denen man persönlich betroffen ist oder betroffen zu sein glaubt, und zum zweiten scheinen erhebliche Wissenslücken bezüglich der Finanzierung freizeittouristischer Einrichtungen zu bestehen.

Steine des Anstoßes

Passagen im Schreiben der Arbeiterkammer, welche die Wogen hochgehen lassen, sind die Behauptung, dass die Tiroler im eigenen Land schlechter gestellt sind als die Gäste und dass diese Schlechterstellung von Tourismusverbänden noch forciert wird. So können Angebote mit Gästekarte preisgünstiger oder überhaupt erst in Anspruch genommen werden. Konkret angesprochen sind der Besuch von Konzerten, die Benützung von Langlaufloipen sowie der Rückzug von Tourismusverbänden aus Veranstaltungen (z.B. Kindersommerprogramme).

Finanzierung von touristischer Infrastruktur

Jeder, der sich ernsthaft mit Tourismus befasst, weiß, dass ein maßgeblicher Teil der touristischen Infrastruktur aus der  Aufenthaltsabgabe der Gäste und der umsatzabhängigen  Tourismusabgabe finanziert wird. In Tirol haben in den vergangenen Jahren landauf landab Tourismusverbände Erhöhungen dieser Abgaben vorgenommen, um neue freizeittouristischer Einrichtungen finanzieren zu können. Dass der Gast diese bei Vorlage der Gästekarte zu einem günstigeren Preis oder gar gratis benützen kann, versteht sich daher von selbst. Selbstverständlich kommen dazu noch finanzielle Beteiligungen der Gemeinden, Förderungen des Landes sowie Infrastrukturinvestitionen von privater Hand.

Vielfältiger Nutzen für Einheimische

Auf der anderen Seite sind die Einheimischen wichtige und begehrte Nutzer freizeittouristischer Einrichtungen. Dass man auf ihren Besuch Wert legt, bestätigen die allerorts anzutreffenden, günstigen Einheimischen-Tarife. Diese reichen von „Tirol-Tagen“ in Skigebieten bis zu Saison- und Jahreskarten für ganze Bündel von Infrastrukturangeboten. Die meisten Anbieter wissen genau, was sie am Einheimischen haben und dass diese gute Kunden sind.

Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass ohne den Tourismus bzw. die Finanzierungen aus dem Tourismus nicht im Entferntesten jene Dichte und Qualität an Freizeitinfrastrukturen zur Verfügung stehen würde, wie wir sie heute vorfinden. Das schließt Wanderwege, Klettersteige, Klettergärten und ähnliche Einrichtungen mit ein, die Gästen wie Einheimischen kostenlos zur Verfügung stehen.

Gäste oder Einheimische: Exklusivität bei Konzertbesuchen?

Was die Konzerte betrifft, zu denen nur Besucher mit Gästekarte Zutritt haben, wäre die Aufregung wohl nur halb so groß oder überhaupt nicht existent, wenn diese in einer Halle und nicht im öffentlichen Raum stattfinden würden. Da aber die Strategie eines Tourismusortes darauf abzielen kann, mit hochwertigen Veranstaltungen zum Saisonauftakt die Betten zu füllen und bei nicht unbeschränktem Platzangebot im Ort eine stimmige Atmosphäre zu schaffen, ist es wohl legitim, so zu handeln. Der Konzertbesuch ist niemandem verwehrt, er braucht nur eine Nacht in einem Beherbergungsbetrieb zu buchen. Der Differenzbetrag zwischen einer Übernachtung in einer mittleren Kategorie und der Eintrittskarte in ein Top-Konzert dürfte kaum ins Gewicht fallen (Es soll ja Einheimische geben, die ein preisgünstiges Quartier buchen, auf diese Weise die Eintrittskarte in das Konzert lösen, dann aber gar nicht vor Ort nächtigen.)

Wertschätzende und glaubwürdige Kommunikation

Unabhängig davon, ob dem Autor des offenen Briefes Unkenntnis, Populismus oder etwas anderes unterstellt werden kann, auch die Touristiker sind gefordert, in ihrer Kommunikation geschickt und glaubwürdig zu agieren. Denn Meldungen wie Finanzieren keine Seilbahnprojekte für Einheimische in einer Destination, die zu den zentralen Naherholungsräumen der Agglomeration Innsbruck zählt, sind nicht unbedingt dazu angetan, das Ansehen des Tourismus zu fördern.

Das alles schmälert aber nichts an den Leistungen, die der Tourismus für Einheimische und Gäste erbringt und mit denen er für die Wirtschaft und die Gesellschaft einen hohen Nutzen stiftet.

13. Dezember 2016, 9:16

Es ist ein leicht durchschaubares Spiel, das hier getrieben wird: Der AK-Präsident, der nicht, wie in den meisten anderen Bundesländern, von der SPÖ sondern von der ÖVP kommt, kritisiert seine ÖVP-Parteifreunde auf Unternehmerseite. Das gibt ihm die plakative Gelegenheit, den einheimischen Arbeitnehmern zu zeigen, schaut her, ich tu was für euch. Die Touristiker können sich ebenfalls publikumswirksam aufregen und ihrer (meist ÖVP-)Klientel zeigen, das lassen wir uns nicht gefallen, wir tun was für euch. Eine Winwin-Situation für die ÖVP in Tirol. Ändern wird sich selbstverstädnlich gar nichts, im „heiligen Land“. Denn der Tourismus als Monokultur hat sich längst zu einem Tiger entwickelt, auf dem die Tiroler sitzen. Fallen sie da einmal herunter – sei es durch eigene Fehler, die immer stärker werdende Klimaveränderung oder die weltweite oder europäische Wirtschaftsentwicklung – dann werden sie gefressen. Dass die Tiroler diesem Schicksal so oder so unaufhaltsam entgegengehen, wie auch wir Salzburger, verdrängen die, die das schon irgendwie spüren, die anderen, das ist die Mehrheit, wissen es noch nicht. Auch gesellschaftlich tut sich ja bereits einiges: Die einheimische Bevölkerung verabschiedet sich zunehmend vom Berufsfeld Tourismus. Es ist bizarr und auch lächerlich, wenn dirndlgewandete und/oder lederbehoste Servierkräfte aus fernen Ländern, kaum der deutschen Sprache mächtig, auf „urig“ machen. In der Küche stehen Ungarn, Tschechen, Slowaken, Bosnier usw. (ohne, dass ich gegen diese Menschen persönlich das Geringste habe) und hauen Convenience-Produkte in die Töpfe. Liebe Leute, das ist eine „Österreichische Gastlichkeit“ mit (baldigem) Ablaufdatum. Nicht zuletzt weil die Erbengeneration der Eigentümer touristischer Familienbetriebe häufig lieber Sozilogie, Publizistik, Psychologie, Politologie usw. studiert – ein starkes Signal!

13. Dezember 2016, 9:46

Obwohl nicht ideal für den Tourismus wenn solche Auseinandersetzungen auch über die Medien ausgetragen werden ist es eine natürliche Entwicklung. Wir haben es schon 1990 in der Piefke Saga gesehen, dass es gegensätzliche Interessensgruppen im Tourismus gibt. Denn jeder ist sich selbst der Nächste.

Die Festung Hohensalzburg: 2004 hatte ein französischer Urlauber den Gratis-Eintritt für Einheimische zur Festung mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofes zu Fall gebracht. Derselbe Anwalt prozessierte 2007 im Auftrag eines Salzburgers gegen den Einheimischen-Tarif in der Watzmanntherme in Berchtesgaden. http://sbgv1.orf.at/stories/169096

Der Tourismus wird sich auch in Zukunft mit „unangenehmen“ Diskussionen auseinandersetzen müssen.

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