1. August 2018 | 23:08 | Kategorie:
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Overtourism – ja oder nein?

Eine hochalpine Bergtour in den Ötztaler Alpen, verbunden mit Beobachtungen und Gesprächen, hat mich dazu angeregt, einige Gedanken zum Thema Overtourism festzuhalten.

These 1: Wir brauchen den Tourismus

Der Tourismus ist in vielen Bergtälern das zentrale wirtschaftliche Standbein mit einem hohen Multiplikatoreffekt. Wir müssen ihm Raum zur Entfaltung geben, denn ohne ihn würden vor allem die inneren Seitentäler völlig anders aussehen als jetzt, nämlich weitgehend frei von wirtschaftenden Menschen.

These 2: Der Tourismus muss Grenzen respektieren

Trotz seiner wirtschaftlichen Bedeutung sollte es unbestritten sein, dass der Tourismus nicht das allein Seligmachende ist. Das wird offensichtlich, wenn man sich von den inneren Talwinkeln in Richtung Inntal bewegt und den funktionalen sowie physiognomischen Wandel der Dörfer betrachtet, einschließlich der talaus ziehenden Pendlerströme.

These 3: Einzeldaten greifen zu kurz

Um die Dimension des Tourismus sowie allfällige Belastungen korrekt darzustellen und damit glaubwürdig zu argumentieren, müssen Daten in einen Zusammenhang gestellt werden. So wird in Tirol in jüngster Zeit gerne darauf verwiesen, dass lediglich 3 % des gesamten Verkehrsaufkommens auf die An- und Abreisen der eigenen Gäste zurückzuführen sind. Das ist eine verkürzte Darstellung. Denn zum einen lässt der Gast – abhängig von der Lage seines Quartiers – das Auto in seinem Urlaub nicht unbedingt stehen und zum zweiten gilt: Wenn schon mit dem hohen Multiplikatoreffekt des Tourismus argumentiert wird, muss eine korrekte Darstellung des Verkehrsgeschehens u.a. auch den durch den Multiplikatoreffekt verursachten Verkehr mit einrechnen.

These 4: Tourismusgesinnung und Tourismusintensität korrespondieren

Dass dort, wo der Tourismus stattfindet, die Tourismusgesinnung besser ist als in städtischen Agglomerationen, liegt auf der Hand. Das hängt aber nicht nur mit der wirtschaftlichen und räumlichen Nähe zum Tourismus zusammen, sondern auch damit, dass diejenigen, die nichts mit dem dortigen Tourismus zu tun haben (wollen), ihren Lebensmittelpunkt woanders hin verlagert haben – eben in die Agglomerationen.

These 5: Die touristische Infrastruktur nützt allen

Es ist der Bestimmungszweck der Aufenthaltsabgabe der Gäste, dass damit touristische Infrastruktur finanziert wird. Daraus abzuleiten, dass der Tourismus die Infrastruktur für die einheimische Bevölkerung bereitstellt, ist nur die halbe Wahrheit. Denn in vielen Infrastrukturen wie Bädern, Wanderwegen, Mountainbikerouten oder auch Aufstiegsanlagen steckt öffentliches Geld (Gemeinde, Land, Bund). Da entsteht ein gegenseitiger Nutzen. Und betrachtet man die mitunter massive Bewerbung der einheimischen Bevölkerung für die Frequentierung touristischer Einrichtungen, so wird offensichtlich, dass der Tourismus die eigene Bevölkerung sehr wohl braucht, um die Investition und den Betrieb von Infrastrukturen zu finanzieren.

These 6: Auch hierzulande ist Overtourism ein Thema

Wenn es um Overtourism geht, wird auf Destinationen wie Mallorca, Venedig oder Hallstatt verwiesen, wobei attraktive Küstendestinationen durch den Kreuzfahrttourismus zusätzlich gefordert sind. Auch hier gilt, dass ein korrekter Vergleich vergleichbare räumliche und zeitliche Einheiten voraussetzt: Palma de Mallorca ist Teil der Insel Mallorca, Venedig Teil des Veneto und Hallstatt Teil von Oberösterreich. Zudem bestehen in allen Fällen deutliche jahreszeitliche Differenzierungen, wobei absolute Spitzenzeiten mit ruhigeren Phasen abwechseln.

Ähnliches gilt z.B. für Tirol: Wenn wir nicht einfach den Durchschnitt für das ganze Land rechnen, sondern Spitzenorte herausgreifen (was den direkten Vergleich mit Palma de Mallorca oder Venedig oder Hallstatt oder anderen Zielorten ermöglicht), sieht die Sache schon etwas anders aus. Im einen oder anderen Fall sind wir dann, wenn wir Overtourism an mehreren Kriterien festmachen, von diesem Phänomen nicht mehr allzu weit entfernt.

Dazu ist sicherlich festzuhalten, dass die Frage, ob, wann und wo wir es mit einem Zuviel an Tourismus zu tun haben, eine Sache der persönlichen Befindlichkeit ist. Touristiker, die in diesem Metier ihr Geld verdienen, sehen die Sache naturgemäß anders als Menschen, die sich durch die Touristenströme in ihrer täglichen Lebensgestaltung eingeengt fühlen.

These 7: Das Phänomen Overtourism ist ernst zu nehmen

Ich denke, dass wir die Frage des Overtourism bzw. der Grenzen des Tourismus auch bei uns ernst nehmen müssen. Anzeichen, dass in der Bevölkerung ein gewisses Unbehagen spürbar ist, sind jedenfalls vorhanden. Das gilt nicht zuletzt auch auch für wirtschaftlich denkende Mitbürgerinnen und Mitbürger, die mit offenen Augen und Ohren durch das Land gehen und die nicht bereit sind, einfach alles als gegeben hinzunehmen.

2. August 2018, 10:31

Ich verfolge das Thema „Overtourism“ seit einer Weile über die verschiedenen Medien und Blogs der Branche. Scheint ein heißes Eisen zu sein, denn ich habe nicht das Gefühl, dass die Verantwortlichen aus den betroffenen Tourismusgemeinden mit den angeschlossenen Gremien, Organsisationen und Leistungsträgern, konstruktiv an Lösungen interessiert sind. Für mich stellt sich nicht die Frage, ob „ja oder nein“ sondern „wann und wo“ der Übertourismus stattfindet. Die Tatsache, dass einige der sogenannten „Hot-Spots“ im Tourismus temporär überlastet sind, ist sicherlich auch eine logische Folge des Strebens nach unendlichem Wachstum in Kombination mit der unrealistischen Zielsetzung, Ankunfts- und Nächtigungsstatistiken jährlich wachsend und immer positiv darstellen zu müssen.
Die Belastungen durch den Ab- und Anreiseverkehr sind nur ein kleiner Teil des Problems und sind meist die Folge einer falschen, mehrere Jahrzehnte andauernden Verkehrsplanung durch Gemeinden, Land und Bund. Hinzu kommt seit vielen Jahren die individuelle Mobilität vor Ort, getrieben von einem ständig wachsenden Angebot im Tal und am Berg. Im Sommer beträgt der Radius für Aktivitäten in der Urlaubsregion ca. 40km, ausgehend von der Unterkunft. Was da bei 10.000 Gästebetten (oder mehr) dann passiert, kann sich jeder selbst ausmalen. Im Winter sind die Nachbarorte der Top-Destinationen „Lieferanten“ für das Skigebiet. Bei 10.000 Gästen im Hauptort kommen gut und gern nochmal 10.000 aus den angeschlossenen Orten hinzu. Jetzt steigt der Druck auf Pistenflächen, Transportanlagen, Gastronomie und offentliche Mobilität (Skibus).
Der für mich wichtigste Punkt in dieser Diskussion ist die Relation zwischen Gästebetten und der gegebenen Infrastruktur im Ort (in der Region). Durch den Wachstumsdruck haben sich Orte und Regionen vom ursprünglichen Charakter entfremdet. In den Hochsaisonzeiten wollen alle zur gleichen Zeit die gleichen Leistungen konsumieren. Die Engpässe werden mit Kapazitätserweiterungen kompensiert, was allerdings nicht in allen Bereichen möglich ist. Wir können Hotels, Bergbahnen und teilweise neue Straßen bauen aber das Angebot der zur Verfügung stehenden Flächen für Angebote ist llimitiert. Parallel wird eine sinkende Wertschöpfung festgestellt und mittlerweile sogar eine spürbare und nachgewiesene Verschlechterung der Qualität, was bei andauernder Problematik zu einem Rückgang der Nachfrage führen wird.

2. August 2018, 22:50

Eine Bettenauslastung von 38% p.a. in den gewerblichen Beherbergungsbetrieben in Tirol macht mir im strukturierten Tourismus noch kein Kopfzerbrechen. Gefragt wäre allerdings eine bessere Entzerrung der Saisonzeiten. Das diskutieren wir schon einige Zeit. Ein Aspekt, der noch komplett unterbelichtet ist, sind die Bereiche „Kalte Betten, Grund und Bodenpreise sowie Freizeitwohnsitze“. Die Tourismusgesinnung im Unterland kommt insbesondere dadurch bereits gefährlich ins Straucheln.

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