15. November 2018 | 18:01 | Kategorie:
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Nachhaltige Tourismus-Kompetenz „exportieren“ – geht das überhaupt?

12 Grad minus, 28 AsiatInnen in dicken Wollmützen, die staunend, mit gezückten Smartphones, durch die lichtgeflutete Grazer Innenstadt trippeln… Szenenwechsel. 35 Grad plus, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, 5 schwitzende EuropäerInnen, die staunend durch Wogen von dröhnenden Mopeds waten…

 

Für den TP-Blog hat Prof. (FH) Dr. Harald A. Friedl, Associate Professor an der FH JOANNEUM den nachstehenden Beitrag verfasst:

Kein Blitzlicht auf aktuelle Tourismustrends, sondern Außenansicht eines von der EU geförderten Erasmus+-Projekts namens „TOURIST“ (www.tourist.fh-joanneum.at). Dabei verfolgt die FH JOANNEUM in Kooperation mit finnischen und spanischen Partnern das Ziel, den regionalen Tourismus in den Traum-Destinationen Südostasiens, Vietnam und Thailand, mit geeigneten Gegenmaßnahmen zukunftsfähiger zu gestalten. Dazu entwickeln europäische Experten für nachhaltigen Tourismus, wie Dr. Harald A. Friedl, Professor am Bad Gleichenberger Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement, gemeinsam mit asiatischen Experten für „klassische“ Tourismusentwicklung Kompetenzzentren an asiatischen Universitäten mit touristischem Schwerpunkt. Dort sollen binnen drei Jahren einheimische Profis zu nachhaltigen Tourismusmanagern weiterqualifiziert werden.

Nachhaltigkeit…

… gilt unter Politikern und Produktdesignern noch als Lieblingsformel zur Befüllung von Ministerien-Namen, Leitbildern, Förderanträgen und Werbebotschaften, während Studierende und Forscher der frühen Stunde zunehmend irritiert reagieren. Denn fragt man nach der konkreten Bedeutung dieser Zauberformel, erntet man wildes Geschwafel oder betretenes Schweigen. Keine Überraschung für Menschen, die bereits eingehender über Nachhaltigkeit reflektiert haben, denn dieses Konzept hat eines mit „Tourismus“ gemein: Es hat irgendwie alles mit allem zu tun, mit dem gesamten Leben, der gesamten Welt… und das ist verdammt viel.

Darum ergeht es „Nachhaltigkeit“ wie all den magischen Worten, die „super“ klingen und genau darum in geradezu absurder Weise vermarktet werden: „perfekt inszenierte Authentizität“, „Luxus in unberührter Natur“, „nachhaltiger (Fern-)Tourismus“… Kein Problem, denn in designten Paradiesen existiert Klimawandel so wenig wie in Trumps Kopf.

Die Tourismusindustrie als hochkompetitiver Markt der Heilsversprechen schert sich so wenig um konkrete Bedeutungen wie Politiker in Zeiten von Aufmerksamkeitsmaximierung und „Alternative Truth“. Relevant ist nur der „Sound“, die „Wirkung“, das „Erlebnis“, die erzielte Aufmerksamkeit. Was hilft erlösungshungrigen Kunden der philosophische Überbau eines Begriffs, wenn nur der Kick-Effekt zählt. Relevante touristische Zielgruppen sind eben weder Philosophen, noch Ethnologen oder Linguisten, sondern einfach nur zahlungswillige Erlebnis-Konsumenten.

An sich kein Problem, doch im Rudel eine Katastrophe! Denn kumulative Wirkungen von massenhaftem Einzelverhalten – und deren steuernde Rahmenbedingungen – zu verstehen ist der erste wichtige Schritt in Richtung nachhaltigen Tourismus: hier die Marktschreier, die immer mehr verkaufen wollen (zu müssen glauben), dort die erlebnishungrigen Kunden, die immer mehr, intensiver, „echter“ erleben wollen (zu müssen glauben)… und mitten drin das wachsende Krebsgeschwür „Overtourism“. Besonders auch in Asien.

Nachhaltigkeit als Verkaufsschlager

Und jetzt erwarten sich asiatische Kollegen von uns Europäern Lösungen für den Brückenschlag von Overtourism zu nachhaltigem Tourismus. Aus Österreichischer Sicht wirkt dies fast schon skurril. Zwar bietet Österreich zweifellos beeindruckende Best-Practice-Beispiele wie das Boutique Hotel Wien, Weltweit Wandern oder Werfenweng, doch im österreichischen Mainstream spielt Nachhaltigkeit nur die Rolle einer belächelten Sonntagspredigt. In Tourismusschulen etwa findet sich Nachhaltigkeit bestenfalls in Einzelprojekten, nicht aber als Pflichtfach oder gar roter Faden im Lehrplan. Indiz: Bisher trägt keine Tourismusschule das österreichische „Umweltzeichen“ – mit Ausnahme der HBLA Bergheidengasse in Wien (https://www.umweltzeichen.at/de/bildung/schulen).

Was also kann Asien von uns über nachhaltigen Tourismus lernen – außer all die Schrauben zur Dynamisierung touristischer Sehnsüchte, an denen wir täglich kunstbeflissen drehen? Liberalisierung der Flugmärkte, Emission der Sehnsüchte, Globalisierung der Urlaubskultur, Beschwörung des Jobmotors? Ausgerechnet wir sollen nun die asiatischen KollegInnen inspirieren?

Der britische Mathematiker, Philosoph und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell wurde einst von Journalisten gefragt, was ihn nach drei gescheiterten Ehen zum Verfassen eines Eheratgebers qualifiziere, worauf Russell antwortete: Wer, wenn nicht er, wisse, was man alles falsch machen könne…

Genau darin liegt die wichtigste exportwürdige Kompetenz der europäischen Experten für Nachhaltigkeit: dem Druck widerstehen, innehalten, Abstand nehmen, in den Spiegel blicken, die aktuelle Bewegungsrichtung ehrlich kritisch beurteilen und Ansätze für Richtungsänderungen entwickeln. Das ist schon sehr viel, denn es ist ein vielversprechender Anfang. Somit viel besser als Sonntagsreden…

 

Über den Autor dieses Beitrags

Prof. (FH) Dr. Harald A. Friedl (harald.friedl@fh-joanneum.at) lehrt nachhaltige Tourismusentwicklung und Tourismusethik am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Rolle einer kooperativen Kommunikationskultur für den Prozess der Transition hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft.

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