3. Januar 2019 | 15:58 | Kategorie:
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2-mal Venedig? Macht 20 Euro, bitte!

“Gerne!” Das sollte der Tagestourist antworten, wenn er aufgefordert wird, (jetzt bald) Eintritt für die Lagunenstadt zu bezahlen. Ich finde den Betrag noch zu gering, aber auf jeden Fall ist er ein Anfang, um die Tages-Touristenströme eventuell etwas einzudämmen. Ich höre aber schon die Aufschreie der Touristiker, die davon leben, dass wir ein jährliches Plus erzeugen “müssen”. Müssen wir wirklich ein jährliches Plus an Touristen “erzeugen” oder reicht es, mehr Einnahmen zu generieren? Jeder Unternehmer würde sagen, dass es mehr Sinn macht, den Aufwand zu minimieren (weniger Touristen …) und trotzdem die Einnahmen zu erhöhen (… die mehr Geld ausgeben).

Provokant? Natürlich. Touristenfeindlich? Nein, ganz im Gegenteil! Ich liebe Gäste.

Venedig hat bis zu 30 Millionen Touristen pro Jahr und eigentlich eine Kapazität von 18 Millionen. Ich muss jetzt nicht unbedingt ein erfahrener Touristiker oder Mathematiker sein, um zu erkennen, was an dieser Rechnung nicht stimmen kann. Der einfache Hausverstand sagt mir, dass die Zukunft in der Reduktion der Quantität und in der Erhöhung der Qualität liegt. Jeder Unternehmer erhöht seine Produktpreise, wenn seine Fabrik die Nachfrage nicht mehr liefern kann.

Kann es jedoch die Lösung sein, dass Tagestouristen Eintritt für einen an sich kostenlosen Stadtrundgang bezahlen? Wahrscheinlich nicht. Aber was ist die Alternative, wenn wir (überrannten) Tourismusregionen einfach nur zusehen, wie immer mehr Tagestouristen für schnelle Sightseeing-Selfies auftauchen und nach wenigen Stunden wieder weg sind? Ohne unsere schönen Regionen genossen zu haben? Ohne uns die Chance zu geben Gastgeber zu sein? Wenn mich jemand zu Hause besucht, möchte ich auch nicht, dass sich diejenigen einmal im Kreis drehen und gleich wieder verschwinden.

Ich denke, dass die Auswirkungen des immer stärker werdenden Tagestourismus ziemlich offensichtlich scheinen. Touristen, die unsere Destinationen gerne besuchen und auch mehrere Tage verweilen möchten, weil sie Österreich schön, cool, bemerkenswert oder einfach nur geil finden, werden sich eventuell überlegen, eine andere Destination zu besuchen, weil ihnen hier die Tagestouristen im Weg stehen und sie woanders mehr Ruhe haben. Einheimische, die in Tourismus-Brennpunkten wohnen, werden es irgendwann nicht mehr aushalten und wegziehen. Damit entfernt sich auch die Authentizität aus diesen Tourismus-Brennpunkten, weil auch die kleinen Geschäfte nicht überleben können, da den Touristen diese Geschäfte ja egal sind, diese Geschäfte sich ihren schönen Standort nicht mehr leisten können und somit Konzernen Platz machen werden. Die Identität geht mit den kleinen Geschäften verloren. Bei austauschbaren Konzernen kaufen zum Beispiel chinesische Touristen vermeintlich österreichische Waren ein, die in ihrem eigenen Land produziert wurden. Das ist grotesk und zudem auch ziemlich schlecht für unser aller Erderwärmungsproblem – vom Imageproblem mal abgesehen.

Die Folge: Endstation “Disneyland Getreidegasse”?

Ich gebe zu, dass dieses Szenario ein klein wenig überzeichnet ist und ziemlich sicher nicht die unmittelbare Zukunft abbildet. Obwohl … manches passiert schon.
Wie alles im Leben, sind schleichende Entwicklungen nicht so unmittelbar spürbar. Das macht sie aber manchmal gefährlich.

Was meint Ihr? Bin ich ein Schwarzmaler? Ein Optimist? Gibt es andere Vorschläge? Alternativen zum Eintritt? Liege ich richtig oder falsch? Andere Meinungen sind wie immer herzlich willkommen – schreibt mir.

3. Januar 2019, 21:33

Danke Martin für die klaren Worte. Dein Szenario finde ich keinesfalls überzeichnet! Die Prozesse, die du bezüglich der Einheimischen und der kleinen (authentischen) Geschäfte beschreibst, laufen nämlich bereits. Dazu braucht man sich nur die Branchenstrukturen an von Tagestouristen stark frequentierten Punkten anzuschauen (am Schwanenplatz in Luzern und in seinem Umfeld findet man diesen Prozess geradezu modellhaft ausgeprägt). Auch ist festzuhalten, dass das Einkaufsverhalten der Tagesgäste, insbesondere der asiatischen, sehr selektiv ist und davon im Endeffekt nur ganz wenige Geschäfte profitieren, der ökonomische Nutzen also nicht in die Breite geht.

Und eine kurze Anmerkung zu den Einheimischen: Wer in der Innsbrucker Altstadt und damit am Weg zum oder in der Nachbarschaft vom Goldenen Dachl wohnt, mag sich glücklich schätzen, wenn er / sie auch über hofseitige Zimmer verfügt.

Das Problem der überhandnehmenden Tagestouristen wird mehr und mehr und eingehend diskutiert und, wie du richtig erwähnst, sucht nicht nur Venedig nach Lösungen. Hallstatt will die Busse kontingentieren. Norbert Kettner berichtet, dass Wien Tourismus die Bewerbung der City zurückfahren und stattdessen das Marketing für Sehenswürdigkeiten und für Wien Typisches in den Bezirken forcieren will.

Auch in Innsbruck gibt es entsprechende Bemühungen der Touristiker, einerseits zur Lenkung der Besucher in andere Stadtteile und andererseits zur Verlängerung der Aufenthalte der Tagesgäste. Diese Bemühungen werden – bewusst oder unbewusst – durch die Stadtführung unterstützt, die nun, nachdem der Motor Innenstadt brummt, die Attraktivität der daran anschließenden Stadtteile erhöhen und dort zu mehr Leben im öffentlichen Raum beitragen will.

Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.

Überaus wichtig erscheint mir dein Hinweis über den Zusammenhang zwischen den asiatischen bzw. chinesischen Touristen und dem Erderwärmungsproblem bzw. dem Klimawandel. Das ist eine Problematik, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen und es betrifft eine Frage, mit der wir uns aus den verschiedensten Blickwinkeln intensiv befassen sollten. Doch darüber ein andermal.

4. Januar 2019, 12:35

Lieber Martin,
vielen Dank für deinen Beitrag und deine Ansichtsweise. Sehr gut kann ich dich nachvollziehen, dass im Bereich Tourismus die Kapazitäten überlaufen und die lokale Authentizität nach und nach verloren geht.
Im Bereich kleine Geschäfte und Miete leisten, sehe ich zwei Punkte, die ich nicht genau verstehen kann.
Zum Beispiel sind die Mieten in Wien in den Geschäftsstraße wie Mariahilfer Straße oder Kärtnerstraße sehr hoch und für die meisten nicht mehr leistbar. Aber es gibt in Wien zahlreiche kleine verlassene Läden, wo die Mieten nicht so hoch sein können. Hier muss es andere Gründe geben, wie z.B. zu teure Ware, keine für den Verbraucher relevanten Produkte oder sonstiges. Was meinst du lieber Martin?

5. Januar 2019, 13:13

Das Problem Overtourism wurde schon viel diskutiert. Es ist jedenfalls angebracht, wenn Beschränkungen und Steuerungen vonseiten der Touristiker kommen und nicht von drangsalierten Bewohnern. In letzterem Fall kann es nämlich dazu kommen, dass Touristenbusse angeschmiert oder Touristen angepöbelt werden.

Letztendlich ist Overtourism eines der mangelnden Steuerung – also Overtourism als eine Folge von Undermanagement.

Wie es die Südtiroler machen findet auch nicht nur Applaus aber es ist ein Weg damit umzugehen.:
https://www.tp-blog.at/destinationen/dolomites-vives-wie-umgehen-mit-overtourism

5. Januar 2019, 18:01

Danke für eure Kommentare, dazu ein paar Anmerkungen:

@Peter und Franz
Mir scheint, dass es zwar viele Diskussionen über Overtourismus gibt, aber viel zu zaghaft gehandelt wird. Entweder bekomme ich konkret umgesetzte Aktionen nicht mit oder es gibt sie einfach nicht und es bleibt bei Diskussionen. Beides bedenklich.
Eine Eintrittsgebühr ist einer von vielen Wegen, die eine von vielen Lösungen sein können. Beschränkungen können auch eine Lösung sein. Am besten wären Eintritte, die eine automatische Beschränkung der Besucherströme auslösen.
Das dabei eingenommene Geld könnte zweckgebunden den Menschen zugutekommen, die am meisten darunter leiden – Anrainer und regionale Geschäfte. Man könnte zum Beispiel für die Eintritte Gutscheine aushändigen, die nur in den regionalen Geschäften eingelöst werden können. Es gibt sicher viele Möglichkeiten, Hauptsache, die Identität geht nicht verloren.
Und es muss ein reger Austausch unter den Betroffenen Locations stattfinden. Ein eigenes Netzwerk von Regionen, die unter dem Problem leiden, wäre auch gut. International. Partnerschaftlich, nicht als Konkurrenten. Kommunikation hilft immer.
Sicher ist, dass die Problematik des Overtourismus nicht an der Bevölkerung hängen bleiben darf, denn das ist eindeutig die Aufgabe der Politik. Wenn sich Vereine bilden müssen, um das Problem in den Griff zu bekommen, dann hat die Politik eindeutig etwas verpasst.
Es sollte viel schneller und wahrscheinlich auch mutiger gehandelt werden, denn das Problem des Overtourism wird sich auf keinen Fall linear, sondern mit sehr großer Wahrscheinlichkeit exponentiell steigern.
Das sind keine witzigen Aussichten.
Es war schon mal ein guter Ansatz, dass der Tourismus wieder Erwähnung in einem Ministerium findet. Aber im Grunde braucht es ein eigenes Tourismus-Ministerium, weil das jetzige Ministerium ja auch noch für die Umwelt, Landwirtschaft und manch andere Bereiche zuständig ist. Es hängt so viel am Tourismus, nicht nur Köche und Kellner – wo wir beim Fachkräftemangel und dem “Pflaster“ Aufnahme in die Mangelberufsliste wären. Aber das ist eine andere Geschichte.

@Frank
Deine Frage zu den leeren Gassenlokalen hat weniger etwas mit dem Tourismus zu tun. Ich möchte dir trotzdem gerne ein Feedback geben. Es gibt sicher viele Gründe, warum diese ehemaligen Geschäfte keine Mieter finden – wie: Online-Handel oder Mobilität der Kunden.
Es gibt aber auch spannende Ideen. Vor Jahren habe ich einmal eine der Gründerinnen von Urbanauts (https://www.graetzlhotel.com/) kennengelernt. Die Gruppe baut leere Geschäfte in Hotelzimmer um und bindet die Gäste in die Umgebung ein. Das Konzept ist super. Solche Ideen gehören gefördert.

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