23. November 2020 | 09:00 | Kategorie:
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Auf die sanfte Tour

In den Skigebieten wird in diesen Tagen fleißig beschneit, obwohl noch gar nicht feststeht, wann Seilbahnen wieder ihren touristischen Betrieb aufnehmen können. Nur eines scheint vor der Wintersaison 2020/2021 sicher: Der Tourenskilauf wird verbreitet wie nie zuvor sein, zumindest seitdem es moderne Aufstiegshilfen gibt. Denn dem Vernehmen nach ist das Equipment für Einsteiger*innen vielerorts ausverkauft. Wobei das Tourengehen schon längere Zeit an Popularität zunimmt, die Umstände der Pandemie verstärken wohl diesen Trend.

So ähnlich verhält es sich mit der Kritik am klassischen Skitourismus österreichischer Prägung. Kurz zusammengefasst heißt es schon seit Jahren: Speziell die Seilbahnbranche betreibe Profitmaximierung zulasten der Ökologie, sei zudem überinvestiert in Aufstiegshilfen und Beschneiungsanlagen. In der Krise wird die Gigantismus-Kritik lauter, dem „Betongold der Alpen“ (Am Schauplatz/ORF) nachgespürt und schon einmal die Kardinalfrage gestellt: „Is Schifoan no des Leiwaundste?“ (Der Standard).

 

Herausforderungen für Skigebiete

Tatsächlich ist der alpine Skitourismus auch unabhängig vom derzeitigen Lockdown mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert: 1. Die demographische Entwicklung bedeutet, dass auch 70-jährige Menschen verstärkt skifahren müssten, um den Bevölkerungsrückgang zu kompensieren. 2. Die extrem hohen Erwartungen der Gäste in Sachen Pisten- und Schneequalität bedingen einen unheimlichen technischen Aufwand, natürlich auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. 3. Mitarbeiter*innen erwarten sich (völlig zurecht) auch in der alpinen Peripherie gute Arbeits- und Lebensbedingungen.

Wer nicht glauben kann, dass der alpine Skisport oder das Bergerlebnis in der Natur mancherorts völlig in den Hintergrund tritt, dem seien die Arbeiten des Tiroler Fotografen Lois Hechenblaikner empfohlen. Natürlich stellt sich dann gerade in Krisen- und Umbruchszeiten die Frage nach dem Essentiellen — sowohl in kultureller als auch in geschäftlicher Hinsicht: „Welchen gesellschaftlichen Nutzen stiften wir im alpinen Tourismus, was ist unser Geschäftsmodell?“ Damit eng verbunden ist die Frage nach Alternativen. Den sogenannten „sanften Tourismus“ als Antithese zum Massentourismus (und eine Art Allheilmittel) auszurufen, greift jedenfalls zu kurz.

Romantische Vorstellungen von Individualität und Selbstbestimmtheit (wie beim Tourenskilauf) oder von kleinen bis mittleren Strukturen bei Skigebieten lohnen kritisch hinterfragt zu werden. Denn selbst das Tourengehen ist bereits auf seine Art (wenn auch auf einem viel niedrigeren Niveau als bei mehr als 50 Millionen Skier Days in den Skigebieten) ein Massenphänomen geworden, hat sich in verschiedene Spielarten (wie z.B. das Pistengehen) ausdifferenziert, wird notwendigerweise reglementiert und mit Infrastruktur wie eingerichteten Aufstiegsspuren auch organisiert. Und bei Skigebieten spricht vieles dafür, dass Größen- und Verbundeffekte sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch positiv auswirken.

 

Bergerlebnis im Vordergrund

Entgegen anders lautenden Gerüchten sind Führungskräfte bei den Seilbahnen nicht nur „technikverliebt“, sondern genauso auch begeisterte Alpinist*innen — schätzen und lieben also unsere alpine Kulturlandschaft. Und der Österreichische Alpenverein ist nach eigenen Angaben mit seinen 230 Schutzhütten der größte Beherbergungsbetrieb des Landes …

Wenn unser gemeinsames Selbstverständnis lautet, möglichst vielen Menschen das alpine Bergerlebnis zu ermöglichen, und zwar unbeschadet ihres sportlichen Eigenkönnens, dann gilt es umso mehr die bestehende Infrastruktur (nicht nur Aufstiegshilfen und Pisten, sondern z.B. auch Wanderwege und Klettersteige) und Suprastruktur optimal auszulasten — also das ganze Jahr über, auch unter der Woche und außerhalb der Ferien. Insbesondere mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbare touristische Zentren können so einen relativ emissionsarmen, aber umso erholsameren Urlaub anbieten.

Robert Groß hat unter dem Titel „Die Beschleunigung der Berge“ eine hochinteressante  Umweltgeschichte des Wintertourismus in Vorarlberg für den Zeitraum 1920 bis 2010 vorgelegt. Darin wird einem auf maximales Wachstum getrimmten Tourismus eine bewusste Entschleunigung gegenübergestellt. Wobei sich insofern der Kreis schließt als Groß die Entwicklung von der Skitour mit einer Abfahrt täglich zu mechanischen Aufstiegshilfen und Pistenpräparation beschreibt. Zweifellos ist diese Beschleunigung der Berge an einer Grenze angelangt, denn der Durchschnittsgast ist bei der heutigen Förderleistung nach ein paar Stunden skifahren bereits mehr als nur ermattet.

Aber bitte nicht falsch verstehen: Die Tatsache, dass die Aktivität vor dem Après-Ski wieder mehr in den Mittelpunkt rückt — wie beispielsweise in der derzeit in Wien affichierten, augenzwinkernden Plakatwerbung von Schladming-Dachstein („2020? Nimm‘s sportlich.“) — ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung.

23. November 2020, 20:20

Markus Redl hat sich in mehreren Beiträgen zu Fragen geäußert, welche die kommende Wintersaison sowie speziell die Bergbahnen und Skigebiete betreffen. Im Folgenden nun einige Gedanken zu seinen aktuellen Ausführungen.

Große, mittlere und kleine Skigebiete: Daran, dass große Skigebiete mehr gefragt sind und Skigebietsverbindungen Größen- und Verbundeffekte aufweisen, besteht kein Zweifel. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand. Das darf uns aber nicht davon abhalten, (künftige) Skigebietszusammenschlüsse kritisch zu hinterfragen. Es darf auch nicht dazu führen, mittlere und kleine Skigenbiete als nicht marktkonform abzutun. Denn die Erfahrung lehrt und Studien der Universität Innsbruck bestätigen, dass auch mittlere und kleine Skigebiete ihr Publikum haben (https://www.tp-blog.at/allgemeines/grosses-oder-kleines-skigebiet). Zudem belegen Beispiele, dass sie ihre Aufgaben durchaus erfolgreich wahrnehmen können, auch wenn dazu häufig der Unterstützung durch die öffentliche Hand erforderlich ist.

„Sanfter“ bzw. nichttechnisierter Tourismus“ ist, wie Markus Redl richtig sagt, keine ausreichende Alternative zu einem Tourismus, der einer ganzen Region als wirtschaftliches Standbein dienen soll. „Sanfter“ Tourismus bietet aber sehr wohl Entwicklungsmöglichkeiten für Betriebe, einzelne Orte oder kleinere regionale Einheiten, denen die Voraussetzungen für einen technisch geprägten Tourismus fehlen und die in ihrem Umfeld ausreichend andere Erwerbsmöglichkeiten vorfinden (siehe z.B. die vom Österreichischen Alpenvereins initiierten Bergsteigerdörfer).

Der Tourenskilauf erlebt seit Jahren einen erfreulichen Aufschwung, wobei der Einstieg dazu für viele dadurch erleichtert wurde und wird, dass sich immer mehr Skigebietsbetreiber den Tourengehern gegenüber kooperativ erweisen und entsprechende Infrastrukturen bereitstellen. Zudem sind die alpinen Vereine in diesem Bereich sehr aktiv und offerieren ein breites Angebot von Technikkursen und geführten Touren, die, wie z.B. in Innsbruck, jeweils schon kurz nach ihrer Freischaltung ausgebucht sind. Die Ereignisse, Beschränkungen und Unsicherheiten rund um Covi-19 motivieren zusätzlich viele Sportbegeisterte, sich alternativen Formen des Schneesports zuzuwenden.

Skisport vor Après-Ski: Dass der Sport gegenüber dem Après-Ski – gezwungenermaßen oder freiwillig – wieder mehr in den Vordergrund rückt, ist kein Schaden. Das gilt jedenfalls für die wilden Auswüchse des Après-Ski, wie sie z.B. der von Markus Redl zitierte Lois Hechenblaikner in seinen Fotodokumentationen festgehalten hat. An sich ist Après-Ski in moderater Form seit jeher (früher z.B. Fünf-Uhr-Tee) und für viele Wintersportler fester Bestandteil eines gelungenen Skitags. Und das soll und wird wohl auch in Nach-Corona-Zeiten so sein.

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