19. Dezember 2011 | 10:41 | Kategorie:
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Keynes´sches Versuchslabor

…so bezeichnet Franz Schellhorn in einem aktuellen Wirtschaftskommentar in der Presse den Staat Österreich, der seine immer höheren Staatsausgaben mit dem Argument rechtfertigt, dass so und nicht anders Wirtschaftswachstum und damit Wohlstand zu sichern sei. Allein in den vergangenen sechs Jahren sind die österreichischen Staatsausgaben um 30% gestiegen, und damit die Schulden, die man nun aber mittels Verfassungsbremse zumindest eindämmen will. Doch das ist eine andere Geschichte.Der Tourismus, der zu einem guten Teil auf „öffentliches Gut“ zurückgreift, ist natürlich seit Anbeginn an Spielwiese staatlicher Eingriffe und Investitionen und wäre – soviel ist sicher – ohne diese heute mit Sicherheit nicht auf jenem Niveau, das vielen Regionen  Einkommen und Wohlstand sichert. Als „Pionierwirtschaft“ diente  und dient der Tourismus bis heute dazu, regionale Wertschöpfung zu schaffen, und nicht nur Gäste sondern vor allem auch die Einheimischen profitieren von den begleitenden Infrastrukturen.

Auch im Tourismus denken wir in Dimensionen des „Wachstums“, das – so hoffen wir – nicht zuletzt durch Unterstützung und Interventionen der öffentlichen Hand angekurbelt werden kann. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner spricht von 40 Millionen Ankünften bis 2020. Für diese Gäste werden nach wie vor Infrastrukturen errichtet, Skigebiete ausgebaut, Hotelbetriebe noch besser ausgestattet. Dafür gibt der Staat Geld, und das nicht zu knapp. Doch in Zeiten von Finanz- und Eurokrise, steigender Zinsen und magerer Ratings kann er diese Ausgaben nicht mehr vorwiegend über weitere Verschuldung finanzieren. Daher, und wieder sei Schellhorns Pressekommentar zitiert, spart die öffentliche Hand „einnahmenseitig“. Michaela Reitterer hat erst kürzlich ihren Finger auf eine solche Wunde gelegt. Damit sind wir, sehr vereinfacht gesprochen, am Kern des Problems und ich formuliere ihn bewusst provokant und verkürzt: Was nützt es dem Tourismus, wenn die öffentliche Hand weiter Millionen in Infrastrukturen und Förderprogramme investiert, wenn parallel dazu die Rahmenbedingungen für die Unternehmen immer schwieriger werden? Was nützt es dem Tourismus, wenn wir unser Heil ausschließlich in Wachstum sehen, wenn wir uns dieses immer teurer erkaufen müssen? Was nützt es dem Tourismus, wenn der Staat unter dem Vorwand der „Wirtschaftsförderung“ seine Ausgaben nicht kürzt, parallel dazu die Steuerzahler aber derart belastet sind, dass das frei verfügbare Haushaltseinkommen weiter schwindet?

So wie ich in Österreich ganz generell und mit wachsendem Unmut eine ehrliche Diskussion um tatsächliche, AUSGABEN-seitige Einsparungen vermisse, so vermisse ich im Tourismus eine ruhige und professionelle Auseinandersetzung mit Szenarien, die auch von Stagnation oder sogar Schrumpfung ausgehen. Was passiert, wenn man solche Szenarien zu lange negiert, kann man derzeit sehr gut am Beispiel der Schweiz beobachten: fast verzweifelt versucht hier die Politik auf sehr unterschiedliche Weise, die massiven touristischen Auswirkungen der anhaltenden Frankenstärke abzufedern. Österreich täte gut daran, aus solchen und ähnlichen Beispielen (sehr gut geeignet ist auch das Studium der Tourismuskrisen in verschiedenen Mittelmeer-Anrainerstaaten oder in der internationalen Luftfahrt) seine Schlüsse zu ziehen und sich touristisch auch auf magere Jahre einzustellen. Denn wirtschaftliche gesprochen hängt in manchen Regionen zuviel an der Freizeitwirtschaft, als dass man dies ignorieren dürfte.

20. Dezember 2011, 10:31

Solche Kommentare sollte man öfter lesen. Die Hoffnung stirbt nicht (ganz), dass sie doch auch in Taten umgesetzt werden.

20. Dezember 2011, 12:48

Nachdem ich einige Reaktionen auf diesen Blogbeitrag erhalten habe (vielleicht gibt es ja auch noch den einen oder anderen Kommentar dazu und nicht nur SMS an mich 🙂 ), noch ein weiterer Gedanke dazu:
„Mager“ werden die Jahre aus touristischer Sicht wahrscheinlich dann, wenn wir uns – aus volkswirtschaftlicher Sicht – das weitere Gedeihen des Tourismus immer teurer erkaufen müssen. Hier ist meiner Ansicht nach in der Diskussion anzusetzen! Wenn das „System Tourismus“ insgesamt immer kostspieliger wird, bleibt uns (und hier die Analogie zum Wohlfahrtsstaat) zur Stabilisierung nur die Einnahmenseite, das heißt mehr Übernachtungen, mehr Umsatz! Ob dies realistisch und im Sinne der Nachhaltigkeit tragbar ist, wäre zu hinterfragen. Ich denke, dass man den Mut haben muss, auch solche Szenarien durchzudenken. Den Blasphemie-Reflex können wir uns nicht mehr leisten!

20. Dezember 2011, 18:31

Das Thema der „Grenzen des Wachstums“ (s. die Globalbetrachtungen des Club of Rome; 1972, 1992 und 2004) ist sehr spannend, aber auch sehr vielschichtig. Eine Beobachtung dazu darf ich spontan in die Diskussion mit einbringen:
In Projekten, die sich mit mittel- bzw. langfristigen Strategien für touristische Angebote oder Marken auseinandersetzen, kommen Szenarien der „Konsolidierung“ bzw. des „Abschwunges“ in der Regel auch vor (nicht selten unter dem Titel „“Worst-Case-Szenario“ … man beachte die generelle Wortwahl in diesem Zusammenhang). Diese werden fallweise sehr fundiert diskutiert (Stichwort: Leopold Kohr), letztendlich meist aber doch als „streng vertraulich“ gekennzeichnet und mangels Übereinstimmung mit den Richtlinien der Kommunikationspolitik dann nicht veröffentlicht (Stichworte: Aktienkurs, Erfolgsdruck, Erwartungen der zu vertretenden Betriebe usw.).

21. Dezember 2011, 14:19

Liebe Ulrike,

einer der besten Beiträge des Jahres!
Kopf in den Sand und auf undiffernzierte „Zuwächse“ hoffen kann und darf nicht die Lösung sein…

21. Dezember 2011, 19:15

Die Tourismuswirtschaft ist nur auf Vergrößerung und Wachstum ausgerichtet. Insbesondere die 5/4-Sterne-Hotellerie verzeichnen in den vergangenen zehn Jahren einen massiven Zuwachs der Bettenanzahl von über 30 %!
Bis 2013 wird eine Zunahme um weitere 9 % prognostiziert. Diese Betriebe verzeichnen eine Jahresauslastung von 50 % und einen EGT von 2 %. Die Hotels benötigen Zimmerpreise, die der Markt nicht hergibt, und bietet andererseits (lt. World Economic Forum) jetzt schon die weltbeste touristische Infrastruktur.

Ein Gesundschrumpfen oder eine Reduktion der Betten würden nach einer ganz neue Wirtschaftsordnung verlangen. Ich bin auf die Präsentation beim Hotelierkongress zum Thema Gemeinwohl-Ökonomie gespannt.

22. Dezember 2011, 10:06

@ Thomas Reisenzahn: eine staatsdominierte Wirtschaftsordnung, die sich das „öffentliche Unternehmertum“ durch immer höhere Schulden erkauft, wird wenig Zukunft haben. Insofern fürchte ich um Keynes´ Stammplatz im österreichischen Herrgottswinkel.

22. Dezember 2011, 15:31

Der Kapitalismus funktioniert nur mit Wachstum. Wir könnten es sonst aber auch mit Planwirtschaft versuchen. Selbstverständlich helfen höhere Staatsausgaben in einer Krise. Den guten alten Keynes würde ich deswegen nicht in die Verantwortung ziehen. Keynes kann nur nichts dafür, dass die Staaten in der Konjunktur nicht gespart haben. Ansonsten ist das System prinzipiell kein Schaden. Was wir brauchen, sind strukturelle Reformen bei den Staatsausgaben, aber keine neue Wirtschaftsordnung (Diese wird übrigens nach dem Krieg der Währungen ohnedies ganz anders aussehen als wir das heute noch beeinflussen können. China hat bereits jetzt die höchsten Dollarreserven der Welt und kauft massiv europäische Staatsanleihen- warum wohl?). Zurück zum Thema: Wenn andere touristische Destinationen aus dem ersten Stock springen, weil der Abschwung sie erwischt, brauchen wir aber doch nicht freiwillig aus dem zweiten Stock springen. Also Kopf hoch!

23. Dezember 2011, 10:26

Den „guten alten Keynes“ greife ich auch nicht direkt an, sondern vielmehr das, was speziell in Österreich über Jahrzehnte unter dem Schlagwort „Keynesianismus“ so alles getrieben wird. Ich denke, Keynes wäre wahrscheinlich selbst sehr erstaunt darüber. Denn wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann war doch einer seiner Leitgedanken, dass die Wirtschaftspolitik des Staates mit Investitionen Schwankungen bei der Nachfrage und damit in der Beschäftigung ausgleichen solle. Dass das heute von Seiten der Politik vielfach so interpretiert wird, dass der Staat ad infititum Investitionsprogramme auf Schuldenbasis auflegt, steht auf einem anderen Blatt. Dass er damit die Privatwirtschaft doppelt behindert ebenfalls: denn statt durch gezielte Investition den Motor wieder anzukurbeln und sich (wenn er läuft) wieder zurückzuziehen, tritt die öffentliche Hand (auch im Tourismus!) vielfach als Unternehmerin auf, verzerrt damit den Wettbewerb und lässt sich dies auch noch von Steuergeld finanzieren. Das, zumindest nach meiner persönlichen Meinung, hat Keynes so nicht postuliert. Genauso findet es meiner Beobachtung nach aber auch im österreichischen Tourismus statt. Und genau das halte ich für problematisch, weil es nur über fortlaufendes Wachstum funktionieren kann. Und an dieses fortwährende Wachstum glaube ich persönlich halt nicht.

27. Dezember 2011, 11:04

Vielleicht hilft uns David Bosshart vom GDI weiter? Zitat: „Das Zeitalter des Zahlenwachstums geht zu Ende. Die Logik des Immer-Mehr hat abgewirtschaftet. Wir müssen umsteigen in das ‚Age of Less‘, ein Zeitalter des Immer-Weniger, das uns aber gleichzeitig Aktionsräume für ein neues, robusteres Wachstum bietet.“
Eine neue Wohlstandsformel? Wachstum jenseits des Zahlenwachstums? Gut, aber dann bräuchten wir zumindest ein neues Steuersystem.

29. Dezember 2011, 10:04

… und bis wir im „Age of Less“ angekommen sind freuen wir uns über mehr Touristen: In Wien purzeln alle bisherigen Fremdenverkehrsrekorde. Schallmauer von elf
Millionen Nächtigungen p.a. erstmals durchbrochen Gästeplus besonders aus Russland, (+36 %), USA (+30 %), Spanien (+16 %), Großbritannien und Japan (je +10). By the way: Ich bin ganz mit Dir, Manfred! Ich frage mich nur, ob (und wenn ja wann) USA und BRIC bei dieser neuen Wohlstandsformel mitmachen wollen… Wenn wir uns die „Ergebnisse“ des Klimagipfels vor Augen führen…

29. Dezember 2011, 18:34

Hält mehr direkte Demokratie den Staat schlank? Sind die öffentlichen Ausgaben durch Bürgerbeteiligung in den Griff zu bekommen? Eine neue Studie meint dass ja:
http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-12/staatsverschuldung-studie-demokratie

31. Dezember 2011, 14:41

Diese Studie kommt aus der Schweiz. Dort hat sich (im wahrsten Sinne des Wortes) die direkte Demokratie auch beim Verhindern des Frauenwahlrechts super bewährt. Während die Regierungen in Östererich 1918, Deutschland 1929, USA 1920,… das Frauenwahlrecht einführten, haben sich die Schweizer bis 1971! nicht so richtig für das Frauenwahlreicht entscheiden können. In Appenzell Inerrhoden lief auch danach noch jede Abstimmung schief, bis 1990 die Verfassungsrichter ein Machtwort sprachen. Bis dahin haben sich die wackeren Basisdemokraten erfolgreich gegen diese staatliche Willkür und Einmischung aus Bern standhaft gewehrt.

3. Januar 2012, 23:10

Angesichts von kolportierten EUR 18 Mrd. an Wirtschaftsförderungen hat sich dieser Bereich als offenkundige Spielwiese für scheinbare Einsparungen angeboten. Da werden allerdings ziemlich undifferenziert sowohl rd. EUR 4000 Mio., die jährlich der ÖBB zufließen (Wirtschaftsförderung?)als auch rd. EUR 6.000 Mio. mit eingerechnet, die an Spitäler gehen.
Der Tourismus erhält in Österreich von Bund, Ländern und EU insgesamt etwa EUR 75 Mio. p.a. aus der öffentlichen Kasse. Das sind rund 0,5 % der direkten Wertschöpfung oder etwa 1,5 % der jährlichen Investitionen. Trotz dieser kargen Zuwendungen ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Mitteleinsatzes natürlich berechtigt aber die undifferenzierte Kürzung von staatlichen Wirtschaftshilfen an einen Wirtschaftszweig, der sich als verlässlicher Konjunkturmotor und oftmals einzige wirtschaftliche Chance in einigen Alpentälern bietet, sollte wohl überlegt sein.

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