22. Januar 2021 | 10:36 | Kategorie:
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„Me first“ in Coronazeiten – der Egoismus blüht auf!

Wir schreiben den Januar 2021. Die Welt steht im Bann der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte. Nicht nur im Tourismus herrscht Stillstand seit mehreren Monaten. -Zig Tausende Existenzen sind bedroht, knapp 1 Million Menschen in Österreich befinden sich in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit. Etliche Wirtschafts-, Kultur- und Freizeitbereiche können nur mit staatlichen Zuwendungen in Milliardenhöhe überleben.

Szenenwechsel

Strahlender Sonnenschein, gleißender Schnee. U.a. zahlreiche frisch gespurte Loipen ermöglichen den Einheimischen auch während  der Coronakrise Bewegung und Erholung inmitten einer herrlichen Bergkulisse. Positive Menschen erfreuen sich an einem derartigen Szenario und sind dankbar, in einer derart gesegneten Umgebung leben zu dürfen. Sollte man meinen…

Wie hinlänglich bekannt, wird dieser Winter mehr oder weniger eine touristische Nullnummer. Damit verbunden massive Umsatzrückgänge der gesamten Tourismusbranche und somit auch entsprechender Einnahmenausfall für die damit verbundenen Tourismusorganisationen.

Entsprechend der kaufmännischen Sorgfaltspflicht werden somit, wo möglich, Einsparungsmaßnahmen ergriffen, unter anderem auch beispielsweise in der Verfügbarkeit von Loipen. Dennoch stehen dem bewegungswilligen Einheimischen zwischen 70 und 90 % des Loipenangebots sowie Pisten, geräumte Wanderwege etc. zur Verfügung.

Wenn dann jedoch, inmitten einer weltweit grassierenden Pandemie, zahlreiche Einheimische sich über die „Nichtverfügbarkeit“ von wenigen Prozenten eines umfangreichen Loipenangebotes mokieren, fehlt einem hierfür aus Sicht einer Tourismusorganisation jegliches Verständnis!

Nur ein funktionierender Tourismus garantiert Mehrwert an Lebensqualität und Freizeitwert

Nachdem vor allem regionale Tourismusverbände oftmals maßgebliche Beiträge für die Lebensqualität und den Freizeitwert, nicht zuletzt der einheimischen Bevölkerung, leisten, scheint dies für einige Menschen fast schon einen Rechtsanspruch und allgemeines Bürgerrecht darzustellen!
Wohlgemerkt, wir sprechen hier per se nach wie vor von TOURISMUSorganisationen. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von Geldern, die eben nur bei entsprechend sprudelnden Tourismuseinnahmen und einer florierenden Wirtschaft von Gästen und Wirtschaftsbetrieben vereinnahmt werden.

Und während sich in Zeiten „vor Corona“ die Beschwerden über „Overtourism“ häuften, werden nunmehr genau jene Leistungen, die ausschließlich aus einem funktionierenden Tourismus finanziert werden, trotz völliger touristischer Abstinenz als quasi uneingeschränkt verfügbares Bürgerrecht eingefordert.

Während allerorts und überall von notwendiger Solidarität gesprochen wird, scheint sich dies bei einigen Zeitgenossen in einer absoluten „me first“ Mentalität zu manifestieren. Hauptsache, mir selbst geht es gut und Einschränkungen betreffen nur alle anderen…und ist wohl auch auf andere Bereiche übertragbar.

Dies ist, zumindest aus meiner persönlichen Einschätzung, purer und blanker Egoismus, den wir in einer derart herausfordernden Zeit wohl zu allerletzt brauchen, meinen Sie nicht auch?

 

 

 

22. Januar 2021, 18:26

Sehr geehrter Herr Riedel!
Die Überschrift ist gelungen und lockte mich in den Text, in dem ich erwartete, dass auch etwas selbstkritisch über Vertreter der Seilbahngesellschaften geschrieben steht, die im Lockdown volle Gondeln als Ausweg aus dem dichten Andrang in den Talstationen forderten (weil sie offenbar doch nicht die Regeln einhalten konnten, wie sie es vorab angekündigt hatten). Oder über einzelne Hoteliers, die mit skurrilen Rechts-Konstrukten versuchen, viel gescheiter zu sein als ihre Kolleginnen und Kollegen und so Häme für die ganze Branche riskierten. Oder über private Gesundheitseinrichtungen in Tirol – vorwiegend auf Unfallpatienten in der Nähe von Skigebieten spezialisiert – deren Personal schon geimpft wurde, ohne Corona-Patienten in ihren Einrichtungen zu behandeln. Dem Pflegepersonal in öffentlichen Einrichtungen für Corona-Patienten jedoch fehlen diese Impfdoesn. Ja, es gibt viel Egoismus in dieser Zeit.

Doch weit gefehlt. Sie mokieren sich über Einzelfälle an unzufriedenen Ausflugsgästen. Das könnten Sie auch mit einem Leserbrief in der Regionalpresse tun. Hier in der Tourismuspresse hilft es – und ja, ich wage nun eine Verallgemeinerung – niemanden weiter.
Guten Tag.

23. Januar 2021, 7:21

guten Morgen Gernot,

vielen Dank für diese offenen Worte. Leider werden sie genau jene nicht lesen, die es eigentlich angeht. Die Zusammenhänge sind vielen offenbar immer noch nicht klar.

HG, Thomas

23. Januar 2021, 10:36

Sehr geehrter Herr Kowatschek,

Wie von Ihnen selbst erwähnt, gibt es selbstverständlich viele Ausprägungen von Egoismus, und das nicht nur in Corona Zeiten. Es würde jedoch den Rahmen sprengen, auf alle Teilaspekte einzugehen. Abseits dieses Teilaspektes geht es mir jedoch vor allem darum, einmal mehr darauf hinzuweisen, dass es in unserem Land eine Vielzahl von infrastrukturellen Angeboten und Freizeitmöglichkeiten NUR mit einem funktionierenden Tourismus und VOR ALLEM der daraus resultierenden Finanzierung gibt.
Dies wird jedoch von weiten Teilen der Bevölkerung, ob bewusst oder unbewusst, immer wieder ignoriert, u.a.das gilt es mir aufzuzeigen. Und diese Thematik übersteigt das hier angeführte Beispiel inhaltlich bei weitem, dann daraus resultiert die Folge: ohne (intensiven) Tourismus – wesentlich weniger Freizeitangebot! Denn zumindest in Tirol wurden und werden fast alle maßgeblichen Freizeitinfrastrukturen, Unterhaltungsangebote etc. vom Tourismusverbänden anteilig oder ausschließlich finanziert, und sollten daher keineswegs als selbstverständliches „Bürgerrecht“ angesehen werden…

@Thomas Wimmer: diese Diskussion kann wohl auch an dieser Stelle nicht schaden…

23. Januar 2021, 10:50

Passend dazu auch: http://www.tai.at/destinationen/oesterreich/dmos-brechen-die-budgets-weg-brauchen-jetzt-jede-unterstuetzung

23. Januar 2021, 11:28

Lieber Gernot! Lieber Günter!

@Günter: In OÖ wurde 2020 der Tourismusbeitrag auf Basis 2019 vom Land übernommen und finanziert (mit einigen verbundenen Auflagen – u.a. Reduktion der Personalkosten, was u.a. auch zur Beendigung meines Dienstverhältnis beim dem dir zuständigen TV führte). Somit hatten die TVs in OÖ schon noch in Corona Zeiten genug Budget ihren eigentlichen Aufgaben, wenn 2020 auch unter anderen Bedingungen, nachzukommen. Wie das nun 2021 aussieht kann ich nicht mehr beurteilen.

@Gernot: kann die Situation bei euch in den Kitzbüheler Alpen nicht beurteilen, da ja TV und Landestourismusorganisation Ländersache ist und ich die Regelungen nicht mehr kenne, bin ja auch nicht mehr wie früher in der Region Kitzbüheler Alpen beruflich aktiv. Kann mir aber durchaus vorstellen dass z.b. aufgrund fehlender Nächtigungsabgaben auch die finanziellen Mittel immer weniger werden und somit die Aufrechterhaltung des Angebotes immer schwieriger wird.

Das erwähnte „Me First“ ist dabei natürlich umso unpassender, trifft aber leider vollkommen zu, egal wo und bei welcher Art der Freizeitgestaltung (derzeit eher Tagesausflugsgestaltung): dies kann man beim Skifahren, Langlaufen, Rodeln, Winterwandern, ….. beobachten. Egal in welcher Region.
Andererseits erkennen jetzt auch viele „Einheimische“ die Bedeutung des Tourismus und sehen auch dass Infrastruktur und Angebot doch nicht so selbstverständlich ist und nur für die „Gäste“ der Ferne aufrechterhalten werden.

LG und alles Gute weiter für das Tourismusjahr 2021 und vor allem Gesundheit
Markus Lengauer

24. Januar 2021, 18:31

Lieber Gernot,
der Tourismus hat den entlegensten Tälern Tirols Wohlstand gebracht. Infrastrukturen, von der Seilbahn bis zum Erlebnisbad, und damit Freizeitangebot wurde geschaffen, die nur mit den Touristen möglich waren. Leider gibt es auch nachdenkliche Aspekte, dass die Wohn- und Bodenpreise so in die Höhe getrieben wurden, dass zum Teil Einheimische abwandern müssen. Am gravierendsten finde ich, dass über 50 Prozent der Beschäftigten nicht mehr Einheimische sind. Ein Land sollte dazu sein, Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung zu schaffen. Und hier ist schon länger ein Ungleichgewicht in Tirol. So traurig diese Pandemie ist, aber vielleicht rückt sie wieder ins Bewusstsein, dass dieser großteils vom Tourismus ausgelöste Wohlstand nicht selbstverständlich ist, vor allem wenn die öffentlichen Körperschaften nicht mehr so prall gefüllte Kassen haben. Wir werden größere Transformationsprozesse im Tourismus in den nächsten Jahren erfahren. Die Einwohner werden dies auch sehr spüren.
Dein Beitrag verdient absolut eine kritische Würdigung, da er aufzeigt, in welcher selbstverständlichen Wohlstandsgesellschaft wir leben, ohne zu hinterfragen, wie alles finanziert wird. Dennoch ein gutes, konstruktives Jahr 2021!

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